Im Magazin „Politico“ ist kürzlich ein Artikel von Robert F. Kennedy jr (Neffe John F.Kennedys) zum Thema Syrien mit dem Titel „Warum die Araber uns nicht in Syrien wollen“ erschienen. Er stellt eine sehr interessante These über die Hintergründe dieses Bürgerkrieges auf, die man aufgrund der Abstammung des Autors und dem Renommee der Zeitung nicht so leicht als Verschwörungstheorie abtun kann. Zumindest wird durch Kennedys Ausführungen plausibel gemacht, weshalb die Türkei, Katar (man bedenke die tragende Rolle al-Jazeeras im Propagandakrieg gegen Syrien) und Saudi Arabien von einer Sekunde auf die andere (noch ganz kurz vor den ersten Aufständen in Syrien plädiert Assad öffentlich für eine Aufnahme der Türkei in die EU!) geradezu fanatisch auf den Sturz Assads hinarbeiten. Den meiner Ansicht nach relevantesten Teil des Artikels habe ich übersetzt; der Rest beschäftigt sich mit der Geschichte Syriens und der Entstehung des „Islamischen Staats“.

[…] Unser Krieg gegen Baschar al-Assad begann nicht 2011 mit den friedlichen zivilen Protesten im Zuge des „Arabischen Frühlings“. Vielmehr nahm er im Jahr 2000 seinen Anfang, als Katar den Vorschlag unterbreitete, eine 1500 km lange Pipeline (Kosten 10Milliarden) durch Saudi Arabien, Jordanien, Syrien und die Türkei zu bauen. Katar teilt mit dem Iran das Süd-Pars-Gasfeld [Anm.: im Persischen Golf], das als größtes Erdgasvorkommen der Welt gilt. Bis vor kurzem wurde der Iran durch ein Embargo am Verkauf seines Gases nach Übersee gehindert. Erdgas aus Katar kann den europäischen Markt nur via Schiff im verflüssigten Zustand erreichen – dies ist jedoch sehr kostenaufwändig, und nur eine beschränkte Menge des Gases kann auf diese Weise transportiert werden. Die vorgeschlagene Pipeline würde Katar über Verteilungsterminals in der Türkei, welche durch den Erhalt von Transitgebühren profitieren würde, direkt mit dem europäischen Energiemarkt verbinden. Die Katar/Türkei-Pipeline würde den sunnitischen Königreichen des Persischen Golfs eine entscheidende Dominanz über die Erdgasmärkte der Welt verschaffen und Katar, Amerikas engsten Verbündeten in der arabischen Welt, stärken. Katar beherbergt zwei massive amerikanische Militärbasen sowie das Hauptquartier des US-Zentralkommandos für den Mittleren Osten.

Auch die EU, welche 30 Prozent ihres Bedarfs an Erdgas aus Russland bezieht, war begierig nach dem Bau dieser Pipeline. Ihre Mitgliedsstaaten könnten billiges Gas beziehen und so unabhängig von Russland werden. Die Türkei, der zweitgrößte Konsument des russischen Gases, war besonders erpicht darauf, sich aus der Abhängigkeit von seinem alten Rivalen [Anm.: das Osmanische Reich und das russische Zarenreich haben in der Vergangenheit nicht wenige Kriege ausgefochten] zu lösen und sich selbst als Umverteilungszentrum des Gases aus dem Mittleren Osten zu positionieren. Die Katar-Pipeline wäre auch Saudi Arabiens konservativer sunnitischer Monarchie zugutegekommen, indem ihr auf diese Weise ein Standbein im schia-dominierten [die Alawiten werden dem schiitischen Islam zugerechnet] Syrien verschafft worden wäre. Das geopolitische Ziel der Saudis ist es nämlich, die wirtschaftliche und politische Macht seines Hauptrivalen, des Iran, der ein enger Verbündeter Assads ist, einzudämmen. In der von den USA initiierten Machtübernahme der Schiiten im Irak [Anm.: nach dem Sturz des Sunniten Saddam Hussein] – und kürzlich in der Beendigung des über den Iran verhängten Embargos – sah die saudische Monarchie eine Herabstufung seiner regionalen Machtstellung.

Die Russen, welche 70 Prozent ihres Gases nach Europa transportieren, sahen freilich in der Katar/Türkei-Pipeline eine existentielle Bedrohung. Aus Putins Sicht stellt die Katar-Pipeline einen NATO-Plot zur Änderung des Status Quo dar, indem Russland seines einzigen Standbeins im Mittleren Osten beraubt, seine Wirtschaft stranguliert und sein Einfluss auf den europäischen Energiemarkt beendet wird. Im Jahr 2009 jedoch erklärte Baschar al-Assad, dass er die Vereinbarung zum Bau der Pipeline durch Syrien nicht unterzeichnen würde, um dadurch „die Interessen unseres Verbündeten Russlands zu schützen“.
Assad erzürnte die Golfstaaten noch weiter, indem er eine von russischer Seite gebilligte Pipeline vom Iran durch Syrien befürwortete, die in libanesischen Häfen enden sollte. Diese Pipeline hätte den schiitischen Iran und nicht das sunnitische Katar zum Hauptlieferanten des europäischen Energiemarktes gemacht und auf diese Weise den Einfluss Teherans im Mittleren Osten dramatisch erhöht. Auch Israel war von der Aussicht auf den Bau dieser Pipeline wenig erbaut, welche Iran und Syrien [Anm.: mit denen es nicht auf bestem Fuße steht] und vermutlich auch deren Protegés Hizbollah und Hamas stärken würde.

Geheime Depeschen und Berichte von US-, Saudi- und israelischen Nachrichtendiensten weisen darauf hin, dass kurz nachdem Assad den Bau der Katar-Pipeline abgelehnt hatte, Militär- und Geheimdienststrategen zu dem Konsens kamen, die Anfachung eines sunnitischen Aufstands in Syrien gegen den unkooperativen Assad könne ein sinnvolles Mittel sein, um den Bau der Katar-Pipeline zu verwirklichen. Enthüllungen von WikiLeaks zufolge begann die CIA 2009, kurz nachdem Assad den Bau der Pipeline abgelehnt hatte, damit, Oppositionsgruppen in Syrien zu finanzieren.

„Baschar al-Assad war nie als Präsident vorgesehen gewesen“, sagte mir Seymour Hersh [amerikanischer Journalist, Pulitzerpreisträger] in einem Interview. „Er wurde aus London zurückgeholt, wo er seine medizinische Ausbildung abschloss, als sein älterer Bruder bei einem Autounfall ums Leben kam.“ [Anm.: Basil al-Assad hätte in die Fußstapfen seines Vaters Hafiz treten sollen] Vor Ausbruch des Krieges sei Baschar al-Assad dabei gewesen, das Land zu liberalisieren, so Hersh. „Sie hatten Internet und Zeitungen und Geldautomaten und Assad wollte sich in Richtung Westen bewegen. Nach dem Attentat am 11.September gab er tausende von wertvollen Dateien über radikale Jihadisten, die er als gemeinsamen Feind betrachtete, an die CIA.“ Assads Regime war bewusst säkular, und Syrien war beeindruckend vielfältig. Beispielsweise bestanden die syrische Regierung und das Militär zu 80 Prozent aus Sunniten. […]
Die sunnitischen Königshäuser wünschten ein tieferes Eingreifen von Seiten der USA [Anm.: als die bloße Finanzierung von Oppositionsgruppen, Anti-Assad-Fernsehkanälen, usw.] Am 4.September 2013 sagte John Kerry bei einer Anhörung des Kongresses, dass die sunnitischen Königreiche angeboten hätten, die Rechnung für eine US-Invasion Syriens zur Beseitigung Assads zu übernehmen. […] Obama jedoch ignorierte weise die republikanischen Forderungen, Fußtruppen nach Syrien zu entsenden oder den „moderaten Aufständischen“ weitere Unterstützung zukommen zu lassen.
2011 schlossen sich die US, Frankreich, katar, Saudi Arabien, die Türkei und Großbritannien zu der „Freunde Syriens“-Koalition zusammen, welche formal die Entfernung Assads forderte. Die CIA ließ dem TV-Sender „Barada“ 6 Millionen Dollar zukommen, um Anti-Assad-Beiträge zu produzieren. Von WikiLeaks veröffentlichte saudi-arabische Nachrichtendienstdokumente zeigen, dass um 2012 die Türkei, Katar und Saudi Arabien radikale sunnitische Jihadisten bewaffneten, trainierten und unterstützten, um die Assad-Regierung zu stürzen. Katar, welches am meisten zu gewinnen hatte, investierte drei Milliarden in den Aufbau des Aufstands und lud das Pentagon ein, Aufständische in US-Basen in Katar zu trainieren. Einer Recherche Seymour Hershs vom April 2014 zufolge wurden die Kanäle, durch welche die Rebellen Waffen erhielten, von der Türkei, Saudi Arabiens und Katars finanziert.
Die Idee, einen sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg zur Schwächung der syrischen und iranischen Regierungen anzufachen, um die Kontrolle über die petrochemischen Vorräte der Region aufrechtzuerhalten, war nicht neu. Ein vom Pentagon finanzierter RAND-Bericht [Anm.: RAND Corporation: Denkfabrik zur Beratung der US-Streitkräfte] aus dem Jahr 2008 liest sich wie eine Blaupause zu den Vorgängen in Syrien. Der Bericht erklärt, die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen des Persischen Golfs würde für die US eine „strategische Priorität“ bleiben, welche „stark mit der Verfolgung eines langen Krieges interagieren“ würde. Rand empfiehlt die Anwendung verdeckter Operationen, „Information Operation“ [Anm: gemeint ist eine Mischung aus elektronischer Kriegsführung, Computernetzwerkoperationen, psychologischer Kriegsführung und militärischer Täuschung] und unkonventioneller Kriegsführung, um eine „teile und herrsche“-Strategie durchzusetzen. „Die USA und ihre lokalen Verbündeten könnten die nationalen Jihadisten benutzen, um einen Stellvertreterkrieg anzuzetteln“ [launch a proxy campaign] und „Die US-Führung könnten auch aus dem sunnitisch-schiitischen Konfliktpotenzial Kapital schlagen, indem sie die Seite der konservativen sunnitischen Regimes wählen“. […]