In der Nacht auf den 10. September handelten Russland und die USA einen Waffenstillstand aus, der am 12. September in Kraft trat. Sollte der Waffenstillstand von allen Parteien eingehalten werden, würde nach einer Woche eine Militärkooperation zwischen den beiden Großmächten zur Bekämpfung stattfinden. Am 16. September wurde eine Zusammenkunft des UN-Sicherheitsrats abgesagt, nachdem die Amerikaner sich geweigert hatten, einige Dokumente über das zwischen der USA und Russland abgeschlossene Syrien-Abkommen dem Sicherheitsrat offenzulegen („Telegraph“). Im Glauben, es mit IS-Stellungen zu tun zu haben, bombardierten Kampfflugzeuge der US-geführten Anti-IS-Koalition am 17. September einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee im Gouvernement Deir az-Zor, bei dem 62 Regierungssoldaten ums Leben kamen, mehr als 100 wurden verletzt („Süddeutsche“). Am 19. September erklärte die syrische Regierung die Waffenruhe für beendet, weil sich „bewaffnete terroristische Gruppen“ nicht an die Waffenruhe hielten. Im ganzen Land sei es zu mehr als 300 Verstößen gekommen („FAZ“). Viktor Poznikhir vom russischen Generalstab sagte außerdem, dass einige Milizen die Waffenruhe zur Neuformierung und Aufrüstung für eine neue Offensive gegen die Armee nutzten („RT“). Allgemein beschwerte sich der russische Generalstab darüber, dass die Amerikaner keinerlei Informationen über Stellungen der von ihnen kontrollierten Rebellen geliefert hätten. Zudem wollten sich die gemäßigten Rebellen noch immer nicht von der Nusra-Front trennen. [In den verschiedenen Koalition ist al-Nusra oftmals als stärkste Fraktion vertreten. Sich von der Nusra-Front zu trennen, käme für die moderaten Rebellen in vielen Fällen einer Kapitulation gleich.]

Wenig später geriet in Orem al-Kubra nahe bei Aleppo ein Konvoi des syrischen Roten Halbmonds, der UN-Hilfsgüter transportiert hatte, unter Beschuss, als er gerade entladen wurde. 21 Zivilisten wurden getötet, 18 von 31 Lastwagen gerieten in Brand. Syrische Aktivisten (“Weißhelme”) filmten die brennenden Wagen. Der offizielle Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow, erklärte am 20. September nach einer Analyse dieser Videos, dass die darauf zu sehenden Schäden allein dadurch zustande kämen, dass die Fracht Feuer gefangen habe. Es seien keine Spuren von Munitionseinschlägen an den Fahrzeugen zu erkennen. Der Korpus der Fahrzeuge sei nicht beschädigt und auch keine Bruchstellen in der Konstruktion als Folge einer Explosionsdruckwelle seien vorhanden.

Mit der Bemerkung, dass zur gleichen Zeit von den Rebellen eine Großoffensive in Aleppo gestartet worden sei, deutete Konaschenkow an, dass der Angriff auf den Konvoi als Ablenkungsmanöver gedient haben könne. („Regnum“, „Al Jazeera“) Einige der Gebäude nahe den zerstörten LKWs (ein Lagerhaus des syrischen Roten Halbmondes und eine Klinik) sind offenbar beschädigt, was die russische Seite als Beleg dafür ansieht, das ein Kampf in der Gegend stattgefunden habe, während dieser Umstand für die USA nahelegt, dass eine Luftattacke erfolgt war. Vom Nachmittag stammende Aufnahmen einer russischen Drohne, die den Konvoi überwacht hatte, zeigen, wie ein Pick-up mit einem auf einem Anhänger montierten Granatwerfer an den geparkten Lastwagen vorbeifährt („Süddeutsche“). Vor dem Hintergrund, dass Russia Today die Bilder live ins Internet stellte, mutet die Idee, russische Flugzeuge hätten später den Konvoi zerstört, etwas befremdlich an, zumal keinerlei erkennbares Motiv vorliegt.

Die USA vermeldete, aufgrund von Satelliten- und Radardaten zu wissen, dass sich zwei russische Jagdflugzeuge (explizit russisch und nicht syrisch) zum fraglichen Zeitpunkt über dem Konvoi befunden hätten und warf Russland vor, den Konvoi attackiert zu haben. Vor dem Hintergrund, dass Russia Today die Bilder der russischen Überwachungsdrohne am Nachmittag live ins Internet stellte, mutet die Idee, russische Flugzeuge hätten später den Konvoi zerstört, etwas befremdlich an, zumal keinerlei erkennbares Motiv vorliegt.

Die syrische Armee scheidet als Übeltäter aus, weil deren Flugzeuge bei Dunkelheit nicht fliegen können.„FAZ“

Die „Weißhelme“ (welchen übrigens im Bericht der OVCW-Untersuchungskommission Fehlalarme vorgeworfen werden) sprachen von vier Helikoptern, die Fassbomben abgeworfen hätten, was nicht zur Erklärung der Amerikaner passt. Andere Beobachter berichten davon, dass Raketen eingeschlagen hätten, was wiederum den Aussagen der Weißhelme widerspricht. Die Videos der Weißhelme zeigen weder das eine noch das andere (Spiegel).

Das russische Militär wiederum hat zum Angriffszeitpunkt eine Drohne der US-geführten Anti-IS-Koalition in der Nähe des Konvois geortet, wie Konaschenkow am 21. September mitteilte. Sie sei vom Typ „Predator“ [dieser Typ kann „Hellfire“-Raketen abschießen] und vom Stützpunkt Inçirlik in der Türkei aufgestiegen. Wenige Minuten vor dem Angriff auf den Konvoi sei die Drohne in das betreffende Gebiet geflogen und habe eine halbe Stunde später wieder abgedreht. Die Amerikaner dementierten dies umgehend (Süddeutsche).

Interessant wäre, was die überlebenden Fahrer der Lastwagen des Hilfskonvois zu sagen haben. Anscheinend war nur einer der 31 Fahrer unter den 21 Opfern.

Der amerikanische Außenminister John Kerry forderte eine Flugverbotszone über Syrien und wird dabei von Steinmeier unterstützt. Russland eine solche Idee ab. Seit eine analoge Flugverbotszone seinerzeit von Frankreich und Großbritannien dazu missbraucht wurde, das libysche Staatsoberhaupt Gaddafi zu stürzen, blockiert Russland jeden Versuch, eine Flugverbotszone in Syrien einzurichten. In ihrem sehr lesenswerten Buch über ihre Arbeit als UN-Diplomatin in der Syrienkrise beschreibt Marija Chodynskaja-Golenischtschewa die seit 2011 nicht abreißenden Versuche der USA, Großbritanniens und Frankreichs, doch endlich eine Flugverbotszone über Syrien einzurichten. Die Bombardierung des Hilfskonvois ist freilich ein willkommener Anlass, dieses Thema wieder aufzufrischen.

Über den amerikanischen Angriff auf den syrischen Armee-Stützpunkt spricht übrigens niemand mehr. Sowas kann ja mal passieren, oder nicht?