Dem Sprecher des Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow zufolge hält Russland die Anschuldigungen, für die Bombardierung der Krankenhäuser in Maarat al-Numan und Azaz verantwortlich zu sein, für eine Desinformationskampagne der Türkei. Die Behauptungen, die russische Luftwaffe habe die Hospitäler bombardiert, stammten alle aus Gaziantep (Stadt im Süden der Türkei), so Konaschenkow. Beweise konnte die türkische Seite nicht vorbringen.
Bei einem Besuch in der Ukraine behauptete der türkische Ministerpräsident Davutoglu, das Krankenhaus in Idlib sei von einer ballistischen Rakete getroffen worden, die von einem der im Kaspischen Meer befindlichen Schiffe der russischen Flotte abgefeuert worden sei. Konaschenkow erwiderte auf diesen Vorwurf, dass kein einziges Schiff der Flotte im Kaspischen Meer in der Lage sei, eine ballistische Rakete abzufeuern.
Und in der Tat werden von diesen Schiffen Marschflugkörper abgefeuert und keine ballistischen Raketen. Möglicherweise hat der türkische Ministerpräsident sich lediglich versprochen, oder vielleicht kennt er den Unterschied nicht. Auf den ersten Blick mag es müßig erscheinen, darauf herumzureiten, ob denn nun dieses Krankenhaus von einer ballistischen oder einer Cruise-Missile-Rakete getroffen worden ist – am Resultat ändert sich nichts, das Krankenhaus ist zerstört, Menschen sind gestorben. Auf der anderen Seite verliert der Vorwurf der Türkei signifikant an Glaubwürdigkeit, wenn der Premierminister mit solcher Überzeugung davon spricht, Russland sei für die Zerstörung des Hospitals verantwortlich, ja, das wisse man ganz genau, man könne sogar angeben, mit welcher Waffengattung das Krankenhaus getroffen worden sei – und dann stellt sich heraus, dass das technisch gar nicht möglich ist.
Desweiteren zeigt sich Konaschenkow verärgert über die Berichterstattung der westlichen Medien, die aus einem Krankenhaus im Laufe des Tages bis zu fünf Krankenhäuser machten. Um möglichst große Parallelität zu Kundus herzustellen, wo die Amerikaner selbst ein Krankenhaus der „Ärzte ohne Grenzen“ bombardiert haben, so Konaschenkow, hätten die westlichen Medien zum einen vergessen, zu erwähnen, dass es sich in Idlib nicht um ein Hospital der „Ärzte ohne Grenzen“ gehandelt habe, sondern lediglich von ihnen unterstützt worden sei, und zum anderen seien am Ende des Tages beide bombardierte Objekte zu Hospitälern der „Ärzte ohne Grenzen“ mutiert.
Hier muss ich unsere deutschen Medien in Schutz nehmen: Zumindest in allen Berichten, die ich gelesen habe – was freilich nicht heißt, dass es nicht andere gibt – war „nur“ von zwei Hospitälern die Rede, und die meisten Quellen haben auch erwähnt, dass das Hospital „lediglich“ von „Ärzte ohne Grenzen“ unterstützt worden sei (auch wenn diese Information zugegebenermaßen eher implizit enthalten ist). Auf der Webseite von „Ärzte ohne Grenzen“ findet man den Hinweis, dass besagtes Hospital seit September 2015 von „Ärzte ohne Grenzen“ unterstützt wird. Im Übrigen ist es wirklich nicht von Bedeutung, von wem dieses Hospital betrieben wurde – es war ganz offensichtlich ein Hospital und hätte nicht bombardiert werden dürfen, wer auch immer dafür verantwortlich sein mag. Allerdings ist der Unmut Konaschenkows verständlich, wenn die Presse aus zwei Hospitälern vier oder fünf macht. Der „Guardian“ berichtet zwar von zwei Hospitälern, zitiert aber ein Statement von UNICEF, in welchem plötzlich von vier Hospitälern die Rede ist. Aus dem Kontext geht hervor, dass es sich bei einem davon um das Mutter-und-Kind-Hospital in Azaz handelt, auf die anderen drei wird nicht näher eingegangen. Wurden vielleicht die zwei Hospitäler, auf die der Sprecher des Pentagon Steve Warren am 10.Februar Bezug nimmt, mitgezählt? Ich weiß es nicht. Auch ist nicht klar, woher der UNICEF-Sprecher seine Informationen hat, denn er sagt wortwörtlich: „We are appalled by reports of attacks […]“. „Reports of attacks“ – „Berichte über Angriffe“ also. Aus welcher Quelle stammen diese Berichte? Von UNICEF-Leuten vor Ort? Oder von Rebellen der gemäßigten Opposition? Oder von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte?
Konaschenkow betont, dass die Meldungen über die angeblich [so ganz glaubt er anscheinend nicht an die Existenz von allen von ihnen] zerstörten Hospitäler und Schulen sowohl in Azaz als auch in Maarat al-Numan (Idlib) aus Gaziantep stammten, wo laut Konaschenkow unter der Leitung des türkischen Geheimdienstes zufälligerweise am selben Tag der Aufbau neuer Ausbildungslager für Kämpfer in Syrien begonnen habe. Dann kommt noch ein etwas überraschendes Statement: „[…] Darüber hinaus findet man auf dieser [gemeint ist „Ärzte ohne Grenzen“] Seite einen auf den 10.Februar datierten Bericht über angeblich bombardierte Krankenhäuser und Schulen. Es sieht also so aus, als sei diese Meldung vorbereitet worden [gemeint ist von türkischer Seite, nicht von Ärzte ohne Grenzen], aber erst am Vortag der in München stattfindenden Syrien-Verhandlungen zwischen der USA und Russland eingesetzt worden. Wir vermuten, dass sich die Türkei den Ergebnissen dieser Verhandlungen aktiv widersetzt.“ Das ist eine seriöse Anschuldigung. Es findet sich in der Tat auf der englischsprachigen Seite der „Ärzte ohne Grenzen“ tatsächlich ein auf den 10.Februar datierter Bericht, in welchem von Bombardierungen während der letzten zwei Wochen auf Krankenhäuser und Schulen in der Umgebung von Azaz die Rede ist. Doch was bedeutet das nun? Hat Konaschenkow recht, dass es sich um eine schon vor längerem vorbereitete Fake-Meldung der Türken handelt? Oder haben die Türken gar selbst diese Einrichtungen bombardiert? Oder besagt diese Meldung einfach nur, dass bereits seit geraumer Zeit immer wieder mal Hospitäler und Schulen in Azaz bombardiert werden? Die dritte Variante hat einiges für sich; zumindest ist das der Eindruck, den man unmittelbar beim Lesen dieser Mitteilung erhält. Allerdings stellt sich dann die Frage, weshalb die westlichen Medien nicht darüber berichtet haben, zumal eine solche Information perfekt ins Programm gepasst hätte.
Desweiteren kritisiert Konaschenkow die Artillerieangriffe der Türkei auf den Norden Syriens. Es seien mehr als hundert Übergriffe in Aleppo aufgezeichnet worden, die sich sowohl gegen Regierungssoldaten als auch gegen die Kurden gerichtet hätten.