Im Kölner Stadtanzeiger wurde vor ein paar Tagen ein Interview des Journalisten Jürgen Todenhöfer veröffentlich, welches dieser mit einem angeblichen Kommandanten Jabhat al-Nusras geführt hatte. Das Interview fand vor gut zwei Wochen statt und kann hier das Video angesehen werden.

Abu al Ezz behauptete gegenüber Todenhöfer, amerikanische „TOW“-Raketen direkt von den Amerikanern bekommen zu haben, d.h. nicht über den Umweg über eine andere Gruppe wie z.B. die Freie Syrische Armee. Weiterhin sagte der mutmaßliche Kommandeur, Militärberater aus der Türkei, Katar, Saudi Arabien, Israel und Amerika seien bei ihnen gewesen. Al-Nusra würde den gegenwärtigen Waffenstillstand nicht anerkennen und den UN-Konvoi mit Hilfslieferungen nicht passieren lassen, wenn sich das Regime nicht entlang der Catello Road, aus al Malah und den nördlichen Gebieten zurückziehe. Sollte ein LKW dennoch versuchen, nach Aleppo zu kommen, würde der Fahrer verhaftet werden.

Man beachte, dass dieses Interview ganz kurz vor dem Angriff auf ebendiesen Konvoi stattgefunden hat.

Über die moderaten islamistischen Gruppierungen sagte Abu al Ezz: „Wir alle sind die „Al Nusra-Front“. Eine Gruppe wird gebildet und nennt sich „Islamische Armee“, oder „Fateh Al Scham“. Jede Gruppe hat einen eignen Namen, doch der Glaube ist einheitlich. Der generelle Name ist „Al Nusra-Front“. Eine Person hat z.B. 2000 Kämpfer. Dann bildet sie aus dieser eine neue Gruppe heraus und nennt diese „Ahrar Al Scham“. Brüder, deren Glaube, Gedanken und Ziele identisch mit der „Al Nusra-Front“ sind.“

Ist dieser Abu al Ezz wirklich ein al-Nusra-Kommandeur – und wenn ja, spricht er die Wahrheit? Al-Nusras Medienkoordinator Musa al-Shami ließ in einer Online-Erklärung vermelden, dass Todenhöfer nie im von ihnen kontrollierten Gebiet war, und bestreitet die Authentizität des Interviews (middleeasteye). Auch in der westlichen Presse wird Todenhöfer heftig angegriffen. Allein der Umstand, dass Todenhöfer offenbar keine größere Zeitung als den „Kölner Stadtanzeiger“ für seine Story finden konnte, spricht Bände. Auch mir persönlich fällt es schwer zu glauben, dass al-Nusra ihre Kommandeure so schlecht unter Kontrolle haben soll. Die offizielle Position al-Nusra ist nämlich, wie deren Anführer Abu Mohammad al-Jolani in einem Al-Jazeera-Interview im Mai 2015 sagte, dass die Gruppe keine Finanzierung von Regierungen annehme, da diese stets mit Forderungen verbunden seien. Stattdessen finanziere sich al-Nusra durch Kriegsbeute. Andererseits beteuert Todenhöfer, die Identität Abu al Ezz‘ genau recherchiert zu haben und praktisch alles über ihn zu wissen. Er sei „einfacher, nicht hochrangiger Kommandeur“ und auch „kein Salafist“, sondern ein „Kriegsknecht“, der bei der Nusra-Front nur wegen der besseren Bezahlung diene. „Seine Kämpfer waren teilweise nicht maskiert, d.h. leicht identifizierbar. Ein Teil seiner Aussagen wurde darüber hinaus kurz darauf vom Mufti von Aleppo fast wörtlich bestätigt, andere Voraussagen über das Desinteresse der Rebellen an einem Waffenstillstand und an internationalen Hilfskonvois haben sich ebenfalls bestätigt. Genauso wie seine Vorhersagen über geplante militärische Aktivitäten in mehreren Städten Syriens“, schrieb Todenhöfer. Im Gegensatz zu den Journalisten, die nun über ihn herziehen, hat sich Todenhöfer viele Male in Lebensgefahr begeben, indem er Gruppierungen wie die Taliban in Afghanistan und sogar den Islamischen Staat besucht hat. Sein Buch „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘ kann ich nur empfehlen. IS-Experten wie Hassan Hassan (Die Welt) halten Kommandeur Abu al Ezz für nicht authentisch; zu den Bedenken tragen mitunter bei, dass er sich nicht der ideologischen Sprechweise al-Nusras bedient und sich auch immer noch als „al-Nusra“ versteht, obwohl die Gruppe sich bereits seit zwei Monaten Jabhat Fatah ash-Sham nennt und sich von al-Qaida losgesagt hat. (In aller Freundschaft übrigens, wie Jolanis Wortwahl bei seiner öffentlichen Erklärung erkennen lässt: Al Jazeera). Den Vorwurf, Abu al Ezz „könne die islamischen Gruppierungen nicht auseinanderhalten“ halte ich allerdings für eine Fehlinterpretation: Er will ganz offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass in Wahrheit alle islamistischen Gruppen zusammenarbeiten und auch kein wirklicher ideologischer Unterschied besteht. Die Schlichtheit dieses angeblichen Kommandeurs würde ich nicht einmal gegen ihn werten; dies wäre dadurch erklärt, dass er „kein Salafist, sondern ein Kriegsknecht“ ist, wie Todenhöfer sich ausdrückt. Meiner Meinung nach ist auch nicht zu erwarten, dass ein einfacher Feldkommandeur sich der ausgesuchten Wortwahl der Führungsspitze bedient. Ein Bundeswehroffizier hat sicherlich auch eine andere Ausdrucksweise als Ursula von der Leyen und wird nicht mit der Rhetorik der Bundesregierung auffahren. Fraglich ist eher, inwiefern ein einfacher Kommandeur wie Abu al Ezz ein derartiges Insiderwissen haben kann. Der Einwand ist berechtigt; allerdings dürfte er als Kommandeur durchaus das Wissen haben, dass die Organisation den Waffenstillstand missbilligt und der Konvoi erst dann durchgelassen werden soll, wenn die syrische Armee sich zurückgezogen hat. Die ausländischen Militärberater könnte er gesehen haben. Was seine Behauptung, al-Nusra erhielte Unterstützung aus den USA betrifft, so kann ich mir gut vorstellen, dass dies auf Hörensagen beruht. Seit längerem ist mir bei den Aussagen von Mitgliedern von Rebellengruppen, Terrororganisationen usw. aufgefallen, dass diese oft nicht viel über ihre eigene Organisation wissen und gerne Verschwörungstheorien aufgreifen.