Am 25. April vermeldete[1] die OPCW, dass die Fact Finding Mission aus Sicherheitsgründen ihre Arbeit in Douma erst am 21. April hatte aufnehmen können. (Verantwortlich für Sicherheitsfragen seien das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) in Zusammenarbeit mit den syrischen Behörden und der russischen Militärpolizei.) Dort hatte sie auch mit „Personen, die mit dem Douma-Vorfall in Zusammenhang standen“ befragt und nach Damaskus gebracht. Am 25. April sei es möglich gewesen, auch einen zweiten mutmaßlichen Tatort [im Originaltext wird der neutrale Begriff „site“ verwendet] zu besuchen und Proben zu nehmen.
Russland berief für den 26. April eine Sitzung im OPCW-Hauptquartier in Den Haag ein, wo es syrische Zeugen für die These, es habe überhaupt keine Giftgasattacke in Douma gegeben, der Öffentlichkeit präsentierte[2]. Alles in allem handelte es sich um 17 Personen, darunter Hassan Diab [der Junge, der unfreiwillig Protagonist eines „Weißhelme“-Videos wurde, siehe meinen Artikel über die „OPCW zwischen Douma und Skripal„] und medizinisches Personal. Dabei hatte sich Russland über das Anraten der OPCW, die Zeugen zuerst von der OPCW Fact Finding Mission interviewen zu lassen und von einer Präsentation Abstand zu nehmen, während die OPCW-Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, hinweggesetzt[3]. „Großbritannien und seine Alliierten“ seien laut dem britischen OPCW-Gesandten Peter Wilson dem russischen Briefing ferngeblieben, weil „die OPCW kein Theater“ sei. Der französische OPCW-Gesandte Philippe Lalliot sprach gar von einer „obszönen Maskerade, welche nicht überraschend käme von einer syrischen Regierung, die ihre eigene Bevölkerung seit sieben Jahren massakriert und vergast“. Wie nicht anders zu erwarten, wurde der syrischen und der russischen Regierung vorgeworfen, Druck auf die sogenannten Zeugen ausgeübt zu haben. Unter anderem wird in Internet-Nachrichtenprotalen (weniger in den großen Medien; allerdings nahm „Tagesschau.de“ darauf Bezug) darüber spekuliert, ob Hassan Diab und sein Vater vielleicht vom Militär unter Druck gesetzt wurden, weil Reporter anhand der Mosaikdekoration im Hintergrund eines Videointerviews eines russischen Fernsehsenders mit den beiden den Offiziersclub der syrischen Armee erkannt haben wollen. Da dieser Club neben dem Dama Rose Hotel in Damaskus situiert ist (wie ebenfalls aus den Berichten besagter Internet-Portale hervorgeht), könnte die Erklärung aber auch so banal sein, dass Hassan Diab und sein Vater für das Interview in diesem Hotel untergebracht worden waren[4]. Bereits am 17. April hatte der Guardian[5] ein Statement des Direktors der „Union of Medical Care and Relief Organisations“ (UOSSM), Dr Ghanem Tayara, abgedruckt, in welchem dieser behauptete, dass den Ärzten, welche für die Behandlung der Opfer der Giftgasattacke vom 7. April verantwortlich gewesen waren, gesagt wurde, ihre Familien seien in Gefahr, wenn sie öffentlich darüber sprächen, was passiert war. Zur Erinnerung: Die UOSSM ist eine 2012 in Frankreich ins Leben gerufene Organisation, welche eine der Hauptinstanzen war, die am 7. April einen Giftgasangriff auf Douma vermeldeten. Bislang war sie im syrischen Bürgerkrieg nicht wirklich in Augenschein getreten – ehrlich gesagt habe ich noch nie von ihr gehört, und auch Wikipedia scheint sie nicht zu kennen – dennoch genießt sie offenbar aus dem Stand heraus hohe Glaubwürdigkeit (bei den Gegners des Assad-Regimes), während die „Weißhelme“ offenbar an Unterstützung verlieren: Am 4. Mai berichtete die CNN[6], dass die amerikanische Regierung die Finanzierung für die „Weißhelme“ eingefroren habe. Dies sei im Zuge einer Neuabwägung der Syrien-Ausgaben geschehen, so ein offizieller Sprecher des State Department. Seit 2013 habe man die „Weißhelme“ mit 33 Millionen Dollar unterstützt. Man habe die Hoffnung, dass die „Weißhelme“ ihre Arbeit fortsetzen können im Zuge „multilateraler zusätzlicher Spenden“; der Präsident habe klargemacht, dass er sich von den Partnern der USA größeres Engagement erhofft. Insgesamt geht es bei dem eingefrorenen Betrag um 200 Millionen US Dollar – es sind also nicht nur die „Weißhelme“ betroffen, sondern auch andere Organisationen, die sich mit Wiederherstellungsarbeiten [recovery work] in Syrien befassen.
Interessant sind die möglichen Hintergründe dieser Entscheidung: Handelt es sich lediglich um einen weiteren Versuch Präsident Trumps, mehr Verantwortung – und damit auch Ausgaben – auf seine Verbündeten abzuwälzen, oder gibt es Grund zur Unzufriedenheit mit der Arbeit der „Weißhelme“? Man bedenke dabei, dass die finanzielle Unterstützung der USA für die „Weißhelme“ zwar hoch war, aber im Vergleich zu den Kosten, die der militärische Angriff auf Syrien als „Vergeltung“ für den angeblichen Giftgas-Einsatz hervorgerufen hat, geradezu verblassen. Was den Leiter der „Weißhelme“, Raed al Saleh, betrifft, so sagte dieser in einem Interview mit CBS[7], dass das Einfrieren der Gelder ein Schock für ihn war. Bei einem Empfang des US State Departments für einige Mitglieder der „Weißhelme“, das vor weniger als zwei Monaten stattgefunden habe, seien die „Weißhelme“ noch für ihre Arbeit gelobt worden. „Unsere Meetings im März waren sehr positiv“, erzählte Saleh. „Es gab sogar Bemerkungen einiger hochrangiger Beamter über langfristige Zusagen bis 2020. Es fielen keine Andeutungen irgendeiner Art, dass die Unterstützung für uns gestoppt werden könnte.“
Am 4. Mai schließlich erklärte die OPCW ihre Fact Finding Mission für beendet[8]. Am selben Tag erklärte Tschechiens Präsident Milos Zeman[9],[10], dass Tschechien im Jahr 2017 Nowitschok in kleinen Mengen in einem Militärlabor in Brno zu Forschungszwecken hergestellt habe. Die Forschungen hätten aber die Substanz A-230 und nicht A-234 betroffen. Nach den Tests sei das Produkt wieder zerstört worden. Daraufhin behauptete der tschechische Ministerpräsident, die Aussage Zemans beruhe auf einem „Missverständnis“[11]. Allerdings widerlegte er Zemans Aussage nicht, sondern erging sich in Wortklaubereien: Es habe eine unterschiedliche Interpretation der Begriffe „Produktion“ und „Test“ gegeben, d.h. Tschechien habe Nowitschok nicht „produziert“, sondern es habe lediglich eine Militärlabor eine „mikroskopisch kleine Menge“ zu „Testzwecken“ hergestellt. Am 10. April kamen dann die tschechischen Parlamentarier in einer Klausursitzung zu dem Schluss, dass Tschechien niemals Nowitschok produziert habe[12]. „Ich respektiere den Bildungsgrad der Abgeordneten, bin mir aber nicht sicher, dass sie bessere Informationen haben, als der Direktor des Instituts, in dem das Gas produziert wurde“, sagte Zeman dazu und erinnerte somit daran, dass er in seiner Mitteilung über die tschechische Nowitschok-Herstellung den Direktor des Militärforschungsinstituts zitiert habe, der im Februar einen Bericht über dieses Thema veröffentlicht hatte[13].
Währenddessen zeigte der Direktor der OPCW Ahmet Üzümcü in einem Interview mit der New York Times eine befremdliche Ahnungslosigkeit, was die Dosierungen chemischer Kampfstoffe angeht. Im Falle Skripal seien 50-100 Gramm (!) des Giftes in flüssiger Form zum Einsatz gekommen, behauptete er, woraufhin die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa etwas zynisch bemerkte, dass eine solche Menge ausreichend gewesen wäre, die gesamte Nachbarschaft auszulöschen[14]. Die OPCW beeilte sich, sich von diesem Statement zu distanzieren und erklärte, dass die Maßeinheit eher Milligramm denn Gramm sein müsse. Die New York Times veröffentlichte daraufhin eine Korrektur[15] und löschte den ursprünglichen Artikel. Woher Ücümcü diese Größenangabe hatte, oder ob es sich einfach nur um einen Versprecher handelte, ist nicht klar.
[1] https://www.opcw.org/news/article/opcw-fact-finding-mission-visits-second-site-in-douma-syria/
[2] https://www.theguardian.com/world/2018/apr/26/obscene-masquerade-russia-criticised-over-douma-chemical-attack-denial
[3] https://www.opcw.org/news/article/opcw-fact-finding-mission-visits-second-site-in-douma-syria/
[4] http://eaworldview.com/2018/04/russias-interview-with-no-chemical-attack-boy-was-secretly-filmed-at-regime-military-facility/
[5] https://www.theguardian.com/world/2018/apr/17/syria-crisis-medics-intimidated-over-douma-gas-attack
[6] https://edition.cnn.com/2018/05/04/politics/us-funding-syria-white-helmets/index.html
[7] https://www.cbsnews.com/news/u-s-freezes-funding-for-syrias-white-helmets/
[8] https://www.nytimes.com/aponline/2018/05/04/world/europe/ap-syria.html
[9] https://www.tagesschau.de/ausland/tschechien-nowitschok-101.html
[10] https://www.derstandard.de/story/2000079333674/giftaffaere-tschechiens-premier-bestreitet-produktion-von-nowitschok
[11] https://www.derstandard.de/story/2000079333674/giftaffaere-tschechiens-premier-bestreitet-produktion-von-nowitschok
[12] https://de.sputniknews.com/politik/20180510320662398-zeman-bezweifelt-parlament-im-fall-skripal/
[13] https://de.sputniknews.com/politik/20180503320572056-tschechien-zeman-a234-nowitschok/
[14] https://regnum.ru/news/polit/2411528.html
[15] https://www.nytimes.com/2018/05/04/world/europe/opcw-skripal-attack.html
Hallo voljan,
danke für den weiteren interessanten Artikel.
Unsere Medien haben ihre „Pflicht“ erfüllt, den Schuldigen im Fall Douma und auch Skripal längst x-fach benannt. Da stören weitergehende Erkenntnisse nur. Für den großen Teil Deiner Leserschaft kommt das wohl kaum überraschend. Wie es der „Normalkonsument“ in seinem Hirn abspeichert, könnte, so meine Hoffnung (als Optimist :-)), durchaus dem Gewollten nicht so recht entsprechen. Die Methode nutzt sich ab.
Es gibt dazu heute einen lesenswerten Artikel bei den NDS:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=43960#more-43960
Besten Gruß
Lapaula
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