Zweiter Weltkrieg
In Antizipation eines größeren Krieges versuchen die Franzosen, sich mit der Türkei gutzustellen. Obwohl dies eine klare Verletzung der Mandatsbedingungen darstellt, treten sie 1939 den Sanjak Alexandretta an die Türkei ab – ungeachtet der Tatsache, dass ein Großteil der Bevölkerung arabisch ist. 1939 heben die Franzosen die syrische Verfassung auf und rufen das Kriegsrecht in Syrien aus. Die Autonomie des Alawitengebiets und des Drusengebiets wird weiter ausgebaut, während die Franzosen nun direkte Kontrolle über Jazira, eine im Osten des Landes gelegene Gegend, die hauptsächlich von Kurden bewohnt ist, ausüben.
Nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 erklären sich die französischen Autoritäten in Syrien und dem Libanon solidarisch mit der Vichy-Regierung. Als ein Jahr später die reelle Gefahr besteht, die französische Regierung könnte den Achsenmächten gestatten, Militärbasen in Syrien aufzubauen, verspricht General Catroux stellvertretend für General de Gaulle, welcher den Freien Französischen Streitkräften [1] voransteht, Syrien und dem Libanon die Unabhängigkeit. Damit soll gewährleistet werden, dass Syrien und der Libanon keinen Widerstand leisten, wenn die Briten zusammen mit den Freien Franzosen einmarschieren.
Der Text des Versprechens, welches in Form von Flugblättern über Syrien und den Libanon verteilt wurde, liest sich wiefolgt:
„Von nun an sollt ihr ein freies und unabhängiges Volk sein; ihr habt das Recht, unabhängige Staaten zu bilden, oder euch zu einem einzigen Staat zusammenzuschließen. In beiden Fällen wird euch die Freiheit und Unabhängigkeit in Form eines Vertrages garantiert, so dass die Beziehungen zwischen euch und uns von nun an klar sein sollen. […] Eine großartige Zeit in eurer Geschichte bricht nun für euch an. Mit den Stimmen der Söhne, die für seine Freiheit kämpfen, und um der Freiheit der Welt willen, erklärt Frankreich eure Unabhängigkeit.“
Leider ist ein Flugblatt kein rechtlich anerkanntes Dokument, und sobald sich die Freien Franzosen in Syrien installiert haben, beginnen sie ihre vorschnellen Zugeständnisse zu reuen. So wird Syrien im September 1941 zwar formal die Unabhängigkeit zugestanden – doch die Franzosen behalten die Kontrolle über die Streitkräfte, die Polizei, die öffentliche Infrastruktur und die Nachschublinien. Da immer noch das Kriegsrecht in Syrien herrscht, kann Catroux den syrischen Präsidenten ernennen – einen Würdenträger, der bekanntermaßen keinerlei nationalistische Ambitionen hat.
Im Juli 1943 kommt es schließlich doch noch zu Wahlen. Der Bloc National kehrt an die Macht zurück, Shukri al-Quwatli wird neuer Präsident. Nun kann Frankreich nicht mehr darauf hoffen, seine privilegierte Stellung auch in einem unabhängigen Syrien zu halten. Auch der Libanon, in welchem ebenfalls Wahlen abgehalten worden sind, ist der französischen „Kolonialherrschaft“ müde.
Als jedoch im Oktober 1943 die Regierungen Syriens und des Libanons respektive erklären, dass sie die Unabhängigkeit in Form einer Verfassungsänderung festhalten wollen, lassen die Franzosen kurzerhand im Libanon den Präsidenten, den Premierminister und weitere politisch relevante Personen festnehmen. Daraufhin brechen Demonstrationen im Libanon, in Syrien und anderen arabischen Ländern aus, und auch die Briten üben Druck auf die Franzosen aus, so dass sich diese letztendlich gezwungen sehen, nachzugeben.
Bis 1945 geben die Franzosen alle wichtigen Regierungsfunktionen an die Syrer ab, behalten aber die Kontrolle über die „Troupes Spéciales“ [2] bei und verstärken sogar ihre Streitkräfte in Syrien: Vielleicht würde es ja doch noch gelingen, Syrien zu gewissen Zugeständnissen zu zwingen?
Im Februar 1954 erklären Syrien und der Libanon Deutschland und Japan den Krieg, und werden so zu Gründungsmitgliedern der UN.
Obwohl die Briten und Franzosen alles andere als gute Freunde sind, versucht sich Churchill gegenüber al-Quwatli für seine Bündispartner einzusetzen. Al-Quwatli verweigert sich jedoch allen Bitten und Drohungen und sagt Churchill: „Wir werden mit den Franzosen keinen Vertrag abschließen, selbst wenn sich das Wasser dieses Meeres rot färben sollte. Wir sind bereit, so viel Blut zu vergießen, um das klare Wasser rot zu färben, Mr. Churchill!“
Die Franzosen bauen indes weiter ihre Streitkräfte in Syrien aus, was zu Streiks und Demonstrationen am 19. Mai 1945 in Damaskus und Beirut führt. Darauf folgen Unruhen in anderen Gegenden, u.a. Aleppo, Homs, Hama, Deir az-Zor, dem Alawitengebiet und dem Drusengebiet. Am Ende des Monats bombardieren die Franzosen Damaskus, um Recht und Ordnung wiederherzustellen. In der Hoffnung, die syrische Regierung festzunehmen, zerstören die Franzosen das syrische Parlamentsgebäude fast vollständig. Daraufhin übernehmen die in Syrien stationierten britischen Truppen die Kontrolle über Syrien.
1946 verlassen die letzten französischen Truppen Syrien und den Libanon. Die britischen Streitkräfte ziehen sich gleichzeitig zurück. Syrien ist unabhängig.
Anmerkung: Dieser Text klingt, als sei er von einem patriotischen Araber verfasst worden, ich weiß 🙂 Aber leider sind das wirklich die Fakten, die man auch in jedem Geschichtsbuch so nachlesen kann. (Ich empfehle „Syria – A Recent History“ von John McHugo, und „A Line in The Sand“ von James Barr.) Es handelt sich nun einmal um eine Kolonialherrschaft im klassischen Sinne, der Begriff „Mandat“ ist lediglich ein Euphemismus. Sicherlich haben die Franzosen einige westliche Modernisierungen eingeführt, auch wenn diese meist nicht so geschickt den geographischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Syrien angepasst waren. Die Neuerungen waren jedoch nicht auf das Wohl der syrischen Bevölkerung ausgelegt, sondern dienten in erster Linie dem französischen Profit.
Zweimal wurde den Syrern die Unabhängigkeit versprochen, einmal von den Briten während des ersten Weltkriegs und einmal von den Franzosen während des zweiten. Gehalten wurde keines von beiden. Da scheint es verständlich, dass Syrien aus historischen Gründen dem Westen gegenüber ein wenig misstrauisch eingestellt ist und auf dessen „Ehrenwort“ nicht allzu viel gibt. Natürlich ist ein solches Misstrauen in der heutigen Zeit völlig unangebracht: Schließlich liegen diese Ereignisse schon mehr als fünfzig Jahre zurück, und seitdem hat der Westen eine moralische Kehrtwende von hundertachtzig Grad hingelegt. Wo es vor wenigen Jahrzehnten noch um wirtschaftliche und machtpolitische Interessen ging, geht es heutzutage – Gott sei Lob und Dank – nur noch um die Sicherung von Menschenrechten.
[1] Im englischen Sprachraum „Free French Army“. Dies wird wohl die FSA, was für „Free Syrian Army“ steht, zu ihrer Namensgebung inspiriert haben. Eine etwas unglückliche Namenswahl, wenn man bedenkt, dass die „Free French“ Syrien mit dem gleichen Trick zu hintergehen suchen, den die Briten schon zur Zeit des ersten Weltkriegs angewandt haben.
[2] Eine Armeeeinheit, die hauptsächlich aus ethnischen Minderheiten zusammengesetzt ist und von den Franzosen aufgestellt wurde, weil man diese für weniger anfällig für nationalistisches Gedankengut hielt