Jeder, der die Nachrichten in den Zeitungen verfolgt, wird bereits festgestellt haben, dass sich die Informationen der Autoren fast ausschließlich auf eine Quelle stützen, die sich „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ nennt. Die Informationen seien nicht unabhängig nachprüfbar, heißt es stets in diesen Artikeln, doch die Quelle habe sich bislang als zuverlässig erwiesen.
Als ich gestern Abend in der Onlineausgabe einer der bekanntesten deutschen Zeitungen – ich lese immer Nachrichten aus verschiedenen Ländern, um mir ein objektives Bild von einer Sache zu machen – einen Artikel zu den russischen Luftangriffen auf syrischem Gebiet las, stieß ich wieder auf diese Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Obwohl ich mich über die leichtfertige Nennung dieser Organisation als Quelle schon seit Monaten ärgere, beschloss ich an diesem Abend, einen Leserkommentar dazu zu schreiben, wofür ich mir sogar extra einen Account bei dieser Zeitung anlegte. Ich schrieb also, dass die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte ein Ein-Mann-Betrieb aus Coventry (England) ist. Wenn man bedenkt, dass der gute Mann – ein Exilsyrer – mit der Opposition sympathisiert, ist anzunehmen, dass sie vielleicht nicht immer hundertprozentig neutral berichtet.
Was ich in diesem Leserkommentar sagte, ist nicht gerade eine Offenbarung, hat doch die Süddeutsche Zeitung [1] schon 2012 darüber berichtet und der Sprecher des russischen Außenministeriums ebenfalls bereits 2012 Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Quelle geäußert [2] hat. Lukaschewitsch sagte unter anderem Folgendes: „Unseren Informationen gemäß arbeiten nur zwei Personen für diese Organisation – der Leiter und sein Sekretär. (…) Sie wird von einem gewissen R. Abdurahman geleitet, der nicht nur keinen journalistischen oder juristischen Hintergrund hat, sondern nicht einmal eine abgeschlossene Sekundärbildung.“ Was Abdurahmans berufliche Quellen angeht, gehen die Meinungen auseinander: Während die russische Quelle behauptet, er betreibe einen Snackshop, meint Reuters, es sei ein Bekleidungsgeschäft. Im „Standard“ ist zu lesen, er installiere Satellitenschüsseln.
Erst vor einer Woche berichtete RT über den gescheiterten Versuch, mit Abdurahman (was im Übrigen ein Pseudonym ist) Kontakt aufzunehmen [3]. In seiner Wohnung in Coventry ist der Mann aber nicht anzutreffen, und als der Journalist einige Einwohner Coventrys befragt, wissen diese nichts über Abdurahman zu sagen. Schließlich gelingt es dem Journalisten, Abdurahman telefonisch zu erreichen, doch der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte weigert sich, den Journalisten zu treffen. Ein Treffen bei Tageslicht halte er für lebensgefährlich, sagte Abdurahman, erklärt aber nicht, wen genau er fürchtet.
„Eigentlich ist es längst kein Geheimnis mehr (siehe Berichte beim österreichischen ‚Standard‘ [4] oder Reuters [5]), dass die Beobachtungsstelle ein Ein-Mann-Betrieb mit Sitz in Coventry ist, einer Stadt mit 300.000 Einwohnern, etwa 150 Kilometer nördlich von London. Eine Londoner Gruppe gleichen Namens, die es auch gab, ist heute nicht mehr aktiv“, schreibt die Süddeutsche 2012. Der „Standard“ sagt: „Ins Kreuzfeuer der Kritik kam die Beobachtungsstelle im Herbst vergangenen Jahres [also 2011], als zahlreiche Medien, darunter CNN, berichteten, dass in der Stadt Hama Babys in Brutkästen gestorben seien, weil das Regime die Stromversorgung des Krankenhauses unterbrochen habe. Eine Falschmeldung. Ali Abunimah recherchiert in seinem Blog, wie aus einer Twitter-Nachricht eine CNN-Meldung wurde, die auf einem Bericht von SOHR beruhte. Die Beobachtungsstelle sagt, sie habe lediglich über die Unterbrechung der Stromversorgung geschrieben. Weil auch Diesel gefehlt habe, hätten die Brutkästen nicht weiter betrieben werden können. Die Kinder sind gestorben. ‚Wir haben nicht gesagt, dass das absichtlich geschehen sei‘, sagte Hivin Kiko gegenüber der Tageszeitung ‚al-Akhbar‘.“
Der Leser kann sicherlich meine Verwunderung verstehen, dass mein Leserkommentar nicht veröffentlicht wurde. Wie ist das zu erklären? Dass die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte ein Ein-Mann-Betrieb ist, ist eine Tatsache und nicht lediglich meine persönliche Meinung; es wurde u.a. in der Süddeutschen, im Standard und in Reuters darüber berichtet. Ich bin ziemlich verärgert über besagte Zeitung, die ihre Leser nicht wissen lassen will, was es mit der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte auf sich hat, und deshalb habe ich diese detaillierte Darstellung hier auf meine Webseite gestellt. Dort werden es freilich weniger Menschen lesen als in den Kommentaren zu dieser Zeitung, aber hoffentlich doch ein paar.

Quellen:

[1] „Ominöse Protokollanten des Todes“ (Süddeutsche): http://www.sueddeutsche.de/politik/syrische-beobachtungsstelle-fuer-menschenrechte-ominoese-protokollanten-des-todes-1.1522443
[2] „Interview verweigert: Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte will sich selbst nicht beobachten lassen“ (RT): http://www.rtdeutsch.com/33394/international/interview-verweigert-syrische-beobachtungsstelle-fuer-menschenrechte-will-sich-selbst-nicht-beobachten-lassen/
[3] „Russia Doubts Credibility of London-based Syria Watchdog“ (Sputnik): http://sputniknews.com/russia/20120225/171527722.html
[4] „Der Ein-Mann-Betrieb berichtet aus Syrien“ (Der Standard): http://derstandard.at/1336696814431/Der-Ein-Mann-Betrieb-berichtet-aus-Syrien
[5] „Coventry – an unlikely home to prominent Syria activist“ (Reuters): http://uk.reuters.com/article/2011/12/08/uk-britain-syria-idUKTRE7B71XG20111208