Innenpolitik unter Hafiz al-Assad
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern hält sich Hafiz al-Assad drei Jahrzehnte an der Macht. Das wesentlichste Kennzeichen seiner Handlungsweise ist Pragmatismus. Außenpolitisch äußert sich das beispielsweise derart, dass er die maronitischen Christen gegen linke und muslimische Kräfte unterstützt, die eigentlich die natürlichen Verbündeten der Baath-Partei gewesen wären. Seine Überlegung dahinter ist, dass die linken und muslimischen Gruppen nicht in der Lage gewesen wären, eine stabiles Staatssystem im Libanon aufzubauen, so dass der Libanon im schlimmsten Falle irgendwann unter die Kontrolle Israels geraten wäre, woraufhin Syrien sich mit einer weiteren Front konfrontiert gesehen hätte. Er versucht zunächst geduldig, zwischen den verschiedenen Gruppierungen im Libanon zu vermitteln, aber als er sieht, dass seine diplomatischen Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind, greift er rigoros durch. Mit dem Iran hat Syrien auf den ersten Blick nicht die geringsten Gemeinsamkeiten. Die Syrer sind Araber, die Iraner Perser; das syrische Staatssystem ist säkular, der Iran ist nach der islamischen Revolution Ayatollah Khomeinis eine islamische Republik; die Syrer sind großenteils Sunniten, die Perser Schiiten. Was Syrien und den Iran einander annähert, sind rein praktische Erwägungen. Nach dem Sturz des Schahs verfolgt der Iran eine antiisraelische Politik. Syrien hat also einen neuen Verbündeten gewonnen. Beide Staaten stehen der Hisbollah im Libanon nahe. Indem der Irak den Iran angreift, ist das Gleichgewicht der arabischen Staaten gegenüber Israel empfindlich gestört: Der Irak wird Syrien nicht zu Hilfe eilen können, wenn er in einen Krieg mit dem Iran verwickelt ist. Zudem steht zu befürchten, dass ein siegreicher Irak versuchen könnte, Einfluss auf Syrien zu gewinnen. Diese Punkte bewegen Hafiz al-Assad – zum großen Befremden der arabischen Staaten – dem Iran beizustehen. Oftmals liest man in den Medien, die Verbundenheit zwischen dem Iran und Syrien hätte etwas damit zu tun, dass die Alawiten eine Art schiitischer Sekte sind. Das Bündnis Syriens und des Iran durch religiöse Gemeinsamkeiten erklären zu wollen, hält jedoch keiner näheren Überprüfung stand. Der Glaube der Alawiten ist eine ungewöhnliche Symbiose aus Islam und Mystik; bisweilen zweifeln muslimische Gelehrte sogar an, dass Alawiten überhaupt richtige Moslems sind. Die Alawiten sehen sich eher als Klan denn als Religionsgemeinschaft. Die Idee, dass iranische Schiiten sich aus religiösen Gründen einem arabischen Stamm, der die letzten Jahrhunderte isoliert in den syrischen Bergen am Mittelmeer verbracht hat, verbunden fühlen könnten, nur weil in beider Glaubensvorstellung Ali ibn Abi Talib eine zentrale Rolle spielt, ist so naiv wie absurd. Einem Staat, dessen Außenpolitik auf solcherlei Sentimentalitäten beruhen würde, wäre kein langes Leben beschert. Um die Allianz jedoch auch in religiöser Hinsicht zu rechtfertigen, betonen bisweilen schiitische Gelehrte, dass die Alawi durchaus Schiiten sind. (Hier ein schöner Artikel über Alawiten, Aleviten und Schiiten im „Standard“)
Innenpolitisch stützt sich Assads Macht auf die unbedingte Treue des Militärs sowie auf einen wohlausgebauten Geheimdienstapparat. Das Notstandsgesetz von 1963 räumt dem syrischen Geheimdienst (Mukhabarat) die Freiheit ein, mehr oder weniger eigenständig jeden, der ihm verdächtig erscheint, festzunehmen und auf unbestimmte Zeit einzusperren. Oftmals kommt ein Gefangener nur durch Bestechungen von Mukhabarat-Offizieren oder durch einflussreiche Bekannte frei. Folter kommt auch nicht selten vor; es ist bekannt, dass andere Staaten, u.a. die USA, Gefangene nach Syrien [1] bringen lassen, um sie dort durch unkonventionelle Verhörmethoden geständig zu machen. Zugenommen hat diese Praxis, seit die USA ihren Kreuzzug gegen den Terror führen. (Hier ist ein Artikel von Amnesty International „Amnesty International“ zu diesem Thema. Allerdings ereignete sich der beschriebene Vorfall 2002, also nicht mehr unter Hafiz al-Assads Herrschaft [2].)
1973 wird Artikel 8 in die Verfassung eingeführt, der der Baath-Partei zur führenden Partei im Staat erklärt. (Dieser Artikel wird 2012 von Baschar al-Assad wieder gestrichen.) Der aus einfachen Verhältnissen stammende Hafiz al-Assad verliert nicht – wie vor ihm viele Politiker unterschiedlichster Parteizugehörigkeit, deren Familien seit osmanischer Zeit hohes Ansehen genossen – den Kontakt zum Volk. Er empfängt Delegationen aus verschiedenen Teilen des Landes und reist auch bisweilen selbst herum, um mit den Leuten zu sprechen. Unter der Herrschaft der Baath-Partei und speziell Hafiz al-Assads wird das Eisenbahnnetz ausgebaut, werden Wasserleitungen zu abgelegenen Dörfern verlegt, und die Anzahl der Analphabeten wird drastisch reduziert (wo 1960 noch knapp die Hälfte der Jungen und über achtzig Prozent der Mädchen nicht lesen und schreiben konnten, war es 1990 nur noch einer von zehn Jungen und drei von zehn Mädchen. Mitte der neunziger Jahre besuchten fast alle Jungen die Schule, wenn auch nicht alle Mädchen.). In den siebziger Jahren lässt Assad den Taqba-Damm am Euphrat bauen, so dass in der Folge 95 Prozent der Dörfer mit Elektrizität versorgt werden, während es vordem nur 5 Prozent waren. Eine weitere Errungenschaft der Baath ist, die Ausnutzung der Bauern durch die Großgrundbesitzer beendet zu haben.
Schon 1964 begann die Baath, große Unternehmen zu nationalisieren. Es bildete sich ein gigantischer Bürokratieapparat, in welchem die Anzahl der Staatsangestellten exponentiell wuchs (von 34.000 im Jahre 1960 auf 700.000 im Jahre 1992), so dass das Land irgendwann in einem Sumpf aus Bürokratie fast erstickte.

[1] Freilich nicht nur nach Syrien, sondern allgemein in Länder, in denen Folter inoffiziell praktiziert wird.

[2] Nun kann man sich fragen, inwiefern Baschar al-Assad über das Treiben seines Geheimdienstes informiert ist. Das weiß ich natürlich nicht, aber ich nehme mal an, ungefähr so weit, wie auch der amerikanische Präsident über das Vorgehen der CIA und die Praktiken in Guantanamo Bescheid weiß, d.h. eine vage Vorstellung wird er schon haben, in konkrete Fälle jedoch nicht eingeweiht sein.