Massaker von Hama
Die politischen Gegner der Baath-Partei sammeln sich bevorzugt unter dem Banner des Islam (daneben gibt es freilich auch Nasseristen). Großgrundbesitzer, die sich durch die Landreformen, im Zuge welcher das Land zugunsten der Bauern umverteilt worden war, benachteiligt fühlen, unterstützen islamistische Gruppierungen wie die syrische Muslimbruderschaft. Die syrische Muslimbruderschaft war nach der Unabhängigkeitserklärung Syriens zunächst Oppositionspartei mit Sitzen im Parlament gewesen, dann jedoch 1963 nach Machtübernahme der Baath-Partei verboten worden. Während der Zeit im Untergrund hatte sie sich zunehmend radikalisiert und Ende der siebziger Jahre beginnt sie, Gewaltanschläge auf Ziele auszuführen, die mit der Baath-Partei oder allgemein Alawiten im Zusammenhang stehen. Zu nennen ist hier speziell das Massaker an über dreißig alawitischen Kadetten an der Artillerieschule von Aleppo. Sie Milizen waren von einem sunnitischen Hauptmann ins Gebäude gelassen worden. Assad lässt daraufhin das hochrangige Personal in Armee und Partei einer genauen Prüfung unterziehen. Der Gouverneur von Aleppo wird ersetzt. Fünfzehn inhaftierte Muslimbrüder werden exekutiert. 1980 wird ein Attentat auf den Präsidenten verübt, welches er nur knapp überlebt: Während er im Freien auf einen Gast wartet, wird Maschinengewehrfeuer auf ihn eröffnet und zwei Handgranaten auf ihn geworfen. Eine der Granaten kann er mit dem Fuß fortstoßen, auf die andere wirft sich einer der Wachmänner und rettet dem Präsidenten damit das Leben. Hunderte in Tadmor inhaftierte Islamisten werden daraufhin hingerichtet; allerdings ist nicht ganz klar, von welcher Stufe der Befehlskette der Befehl dazu gekommen war.
Während in Aleppo und Hama größere Demonstrationen stattfanden, blieb es im Süden des Landes relativ ruhig. 1981 kommt es in der Hauptstadt jedoch zu einer Reihe von Anschlägen, u.a. auf das Büro des Premierministers und das Air-Force-Hauptquartier.
Der Kampf der Regierung gegen die islamistischen Aufstände gipfelt im Massaker von Hama im Jahre 1982. Milizen einer Organisation mit Namen „Kämpfende Avantgarde“ schicken sich mit Unterstützung der lokalen Muslimbruderschaft an, Aufstände im ganzen Land zu provozieren. Dem war eine dreijährige Vorbereitungsphase vorangegangen; möglicherweise war die „Kämpfende Avantgarde“ auch für den Anschlag auf die Artillerieschule verantwortlich. Der Aufstand in Hama beginnt, als eine Armee-Einheit in der Altstadt von Hama den Unterschlupf eines lokalen Milizenkommandeurs Umar Jawwad aufspürt und getötet wird. U.a. schießen Sniper von den Dächern auf die Soldaten. Verstärkung wird angefordert, um Umar Jawwads Stellung zu belagern, welcher daraufhin zu einem Großaufstand aufruft. Häuser von Regierungsmitarbeitern und Angehörigen der Baath-Partei werden überfallen. Mehr als siebzig von ihnen werden getötet. Aufrufe zum Aufstand und zum Jihad (gegen die säkular gesinnte Baath-Partei) erschallen durch Megaphone von den Moscheen, auch Waffen werden in manchen Moscheen ausgegeben. Laut Abu Musaab as-Suri, einem Mitglied der kämpferischen Avantgarde, welcher sich später in Afghanistan al Qaida anschloss, hatten die Aufständischen Maschinenpistolen und reaktive Panzerbüchsen gelagert. Am Morgen des Aufstandes seien 8000 Maschinenpistolen unter den Aufständischen verteilt worden.
Assad schickt Militärtrupps sowie die Spezialeinheiten seines Bruders Rifaat und Geheimdienstagenten in die Stadt. Vor dem Angriff ruft die Regierung die Stadt dazu auf, sich zu ergeben; unbescholtene Bürger sollten die Stadt verlassen. Jeder, der in der Stadt verbleibe, würde als Aufständischer behandelt werden.
Von 12000 Mann belagert, dauert der Kampf drei Wochen. Um der Infanterie den Zugang durch die engen Gassen zu ermöglichen, wird die Altstadt bombardiert. Nachdem die Stadt unter Kontrolle gebracht ist, wird gründlich nach überlebenden Aufständischen gesucht. Es folgen Massenexekutionen. Einer Schätzung von Amnesty International zufolge beträgt die Anzahl der Getöteten zwischen 10000 und 25000 Menschen, davon ca. 1000 Regierungssoldaten.
Meine Familie und ich haben damals in Damaskus gelebt – und die Bombenattentate aus wahrlich nächster Nähe erlebt: Die erste Explosion geschah nämlich direkt zwischen unserem Bürogebäude und der danebenstehenden Zentrale der Baath-Partei am Sebaa-Bahrat-Platz gegenüber der Zentralbank. Wobei unsere Sekretärin und ich nur aufgrund des Glücksfalles völlig unbeschadet blieben, daß wir uns gerade in der einzigen Ecke des Büros befanden, die keine Glasfenster bzw. -türen hatte.
Auch die zweite Bombe im links neben der Zentralbank befindlichen Ministerrat riß uns sämtliche Fenster heraus – und das erste Sprengstoffauto, das vor dem Wehramt (ebenfalls keim um die Ecke) ca. 200 Tote und mehrfach soviel Verletzte verursachte, verpaßten mein Mitarbeiter und ich nur um 10 Minuten. Eigentlich war er um 12:00 dorthin bestellt worden – exakt zum Zeitpunkt der Explosion. Wären wir pünktlich gewesen, wäre von uns kaum mehr als eine DNA-Probe übrig geblieben… wenn überhaupt.
Dafür, daß Präsident Assad den anschließenden bewaffneten Aufstand niederschlagen ließ und dem Land daraufhin viele Jahre der Ruhe und Sicherheit bescherte, sodaß wir den Begriff ‚islamischer Extremismus und Terrorismus‘ fast schon vergessen hatten, als er im September 2001 plötzlich im Westen akut wurde, danke ich ihm posthum als Mensch, Bürger und Familienvater.
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