Dem russischen Verteidigungsministerium zufolge befinden sich nicht weniger als 8500 Öllastwagen im Besitz von Terroristen, die ungefähr 2000 Barrel pro Tag über die Grenze zur Türkei transportieren. Das hört sich zunächst einmal nicht sonderlich beeindruckend an (allerdings erwähnt das Verteidigungsministerium auch einen Transport mittels Pipelines), wenn man bedenkt, dass einige der erdölfördernden Staaten eine Fördermenge von mehreren Millionen Barrel pro Tag vorweisen können. Die türkische Regierung hat also recht, wenn sie sagt, dass mit einer solch geringen Menge unmöglich der Energieverbrauch der Türkei gedeckt werden könne. Dieses Argument jedoch als Beweis hernehmen zu wollen, dass die Türkei nicht in illegale Ölgeschäfte verwickelt sein kann, ist leider alles andere als überzeugend. Wenn man bedenkt, dass die Türkei generell ein wichtiger Handelspartner für Russland war (Tourismus, Importe von Gemüse, Verträge über den Bau von Atomkraftwerken etc.), und Russland wegen des Baus der South-Stream-Pipeline (die sehr, sehr wichtig für Russland ist) immer sehr auf ein gutes Verhältnis zur Türkei bedacht war, ist nicht anzunehmen, dass Putin eine gegenstandslose Anklage gegen die türkische Regierung wegen eines einzigen abgeschossenen Kampflugzeugs erhebt. Und last but not least sollte man sich Folgendes überlegen: Niemand – auch nicht der Westen – streitet ab, dass die Haupteinnahme des IS der Ölverkauf ist. Aber wer Öl verkauft, muss auch einen Käufer haben. Da Öl immer in großen Mengen transportiert wird (was will man auch mit einer Teetasse Öl?) ist anzunehmen, dass das Öl nicht um die halbe Welt verfrachtet wird (was sich der IS mit seinen Dumpingpreisen von 10-12 Dollar pro Barrel auch nicht leisten könnte). Der natürliche Verdacht fällt auf ein Nachbarland, welches selbst kein Öl hat … Wie dem auch sei, das russische Verteidigungsministerium hat vor einen Tagen in Form eines Briefings Satellitenbilder und von Flugzeugen gemachte Aufnahmen veröffentlicht, die die Routen, auf denen das Öl in die Türkei gelangt, aufzeigt. Die ersten auf dem Briefing erwähnten Aufnahmen stammen vom August.
Im Folgenden habe ich das Wesentliche zusammengefasst, dennoch würde ich jedem empfehlen, sich das Briefing selbst anzusehen, da dort auch Videoaufnahmen gezeigt werden. Es ist auf russisch, aber englisch synchronisiert. Da die Ortsnamen auf der verwendeten Karte in kyrillischer Schrift gegeben sind, habe ich diese bei meiner Zusammenfassung in Klammern gesetzt, damit der Leser sie auf der Karte verfolgen kann.
Kann man den russischen Aufnahmen trauen? Nun, es besteht immer die Gefahr, dass Beweise gefälscht sind, selbst wenn sie von höchster Stelle kommen, wie die USA im Falle des Irakkriegs von 2003 eindrucksvoll bewiesen hat. Ganz allgemein kann man wohl sagen, dass die russischen Beweise zumindest nicht weniger vertrauenswürdig sind als die westlichen.
Briefing:
Das Öl gelangt über drei Routen in die Türkei, wie man hier an dieser Karte sehen kann:

Route 1:
Auf der nordwestlichen Route wird Öl, das unweit von Rakka (РАККА) gefördert wurde, bei Nacht über das in Syrien gelegene Azaz (АЗАЗ) in die Türkei nach Reyhanli (РЕЙХАНЛЫ) transportiert. Von dort aus gelangt es an die türkischen Mittelmeerhäfen Iskenderun (ИСКЕНДЕРУН) und Dörtyol (ДЕРТЬЕЛ). Diese Aufnahmen aus einem von einem Flugzeug aufgezeichneten Video zeigen, wie eine Kolonne Lastwagen die türkische Grenze unkontrolliert passiert. Auf Bild 4 ist im Vordergrund die türkische Flagge zu erkennen.



Diese Aufnahmen zeigen parkende LKWs im türkischen Reyhanli:

Dann geht’s weiter zu den Häfen. Das Öl wird teils auf Schiffe verfrachtet und zu Raffinerien außerhalb der Türkei gebracht, teils verkauft. Diese Satellitenaufnahme zeigt den Hafen von Iskenderun, wo die Lastwagen parken:

„Schön und gut“, wird sich nun so mancher denken, „aus dieser Entfernung und noch dazu in schwarz-weiß sehen alle Lastwägen gleich aus. Woher wissen wir, dass diese parkenden Lastwägen nicht eine ganz harmlose Fracht gelanden haben, wie beispielsweise Kartoffeln?“
Dem ist freilich nichts entgegenzusetzen. Ja, vielleicht sind da Kartoffeln drin.
Route 2:
Die zweite Route führt von Ölfeldern, die am rechten Euphratufer in der Provinz Deir az-Zor lokalisiert sind, über Kamishliya (КАМИШЛИЯ) in Syrien über die türkische Grenze zur Ölraffinerie in Batman (БАТМАН).

Wieder zeigt uns das Verteidigungsministerium Satellitenaufnahmen von Lastwagen, die in verschiedenen kreativen Formationen in der Wüste herumstehen. Da sie nicht weniger auffällig sind, als Kornkreise im Feld eines ahnungslosen Bauern, spricht hier einiges für eine Fälschung der Russen: Denn würden diese Lastwagen tatsächlich so offen in der Wüste herumtuckern, dann wären sie doch sicherlich längst durch die von den USA angeführte Koalition vernichtet worden. (Oder nicht?)



Die nächste Aufnahme zeigt die vor dem Grenzübergang bei Kamishliya (КАМИШЛИЯ) wartenden Lastwagen. Die Aufnahme wurde im August gemacht. Laut dem Sprecher des Verteidigungsministeriums herrscht viel Verkehr in beide Richtungen.


Endstation ist die Raffinerie in Batman, welches hundert Kilometer von der syrischen Grenze entfernt in der Türkei gelegen ist.

Route 3:
Das Öl gelangt mittels Lastwagen aus dem Irak über das syrische Karajokh (КАРА ЧОХ), und Jam Khanik (ЧАМ ХАНИК) oder das irakische Tawan (ТАВАН) oder Zaho (ЗАХО) zur Raffinerie in Batman; alternativ sammeln sich die LKWs in logistischen Zentren in der Türkei. Die nächste Aufnahme zeigte die beeindruckende Ansammlung von 3000 Lastwägen nahe dem türkischen Silopi (СИЛОПИ).


Beeindruckend – aber ist das wirklich in der Türkei? Ein Satellitenbild gibt zwar Koordinaten an, aber diese könnten natürlich gefälscht sein.
Das nächste Bild zeigt den Verkehr zwischen Jam Khanik (Syrien) und dem irakischen Faish Khabur (zumindest gehe ich davon aus, dass es sich um Faish Khabur handeln muss, wenn der syrische Counterpart Khanik ist) und vice versa über eine Brücke über den Tigris, welcher über einen (sehr) kurzen Streckenabschnitt die Grenze zwischen dem Irak und Syrien markiert.

Da der Fluss zu sehen ist, bestehen diesmal keine Zweifel am Ort der Aufnahme (oder handelt es sich vielleicht doch um einen anderen Fluss, dessen Verlauf nur ähnlich ist?) Das türkische Silopi ist auf der Karte eingezeichnet, doch für jemanden, der die kyrillische Schrift nicht gewohnt ist, ist das wohl nicht zu erkennen. Hier also die Lage Silopis auf google maps:

Khanik ist so winzig, dass es erst bei einer Vergrößerung sichtbar wird, die Silopi nicht mehr zeigt, aber es liegt, wie gesagt, gegenüber von Faish Khabur, welches eingezeichnet ist. (Den Verlauf des Tigris entlang der irakisch-syrischen Grenze kann google maps irgendwie nicht darstellen.)