Ich persönlich bin kein Fan der deutschsprachigen Version von Russia Today, aber die russische Ausgabe ist – soweit ich das als sporadischer Leser beurteilen kann – eine normale Zeitung. Propagandafrei scheint leider heutzutage keine Zeitung auf der gesamten Welt mehr zu sein, weswegen man sich wohl oder übel nur eine Meinung bilden kann, indem man Zeitungen aus verschiedenen Teilen der Welt liest, in der Hoffnung, dass sich durch dieses Verfahren die Propaganda herausmittelt. Lange Rede, kurzer Sinn: Meines Erachtens enthält die russische Ausgabe von RT nicht mehr Propaganda als die gewöhnliche europäische oder amerikanische Tageszeitung. So viel zur Glaubwürdigkeit von RT, auf die es im Folgenden nicht unwesentlich ankommt.
Ein Fernsehteam von RT hat in kürzlich vom IS befreiten Gebieten in Syrien Filmaufnahmen gemacht, die u.a. Interviews mit kurdischen Kämpfern, gefangenen IS-Kämpfern, usw. enthalten [Englische Version des Artikels]. In ash-Shaddadi (Hasaka-Provinz, also syrisches „Kurdistan“) und an einem IS-Checkpoint im Distrikt Tal Abyad der Provinz Rakka wurden Dokumente des IS (also mit offiziellem IS-Stempel usw.) über Ölverkäufe, Transport, etc. gefunden. Aus Shaddadi stammen Rechnungen, die über die Einkünfte des IS aus den täglichen Einnahmen seiner Ölfelder und Raffinerien Aufschluss geben, sowie über die Menge an Öl, die extrahiert wurde. Jede Rechnung enthält den Namen des Fahrers, den Fahrzeugtyp, mit dem das Öl transportiert wurde, sowie das Gewicht des Lastwagens im leeren und im gefüllten Zustand, den vereinbarten Preis und die Rechnungsnummer.

RT-Journalisten sprachen auch mit Einheimischen, die unter Zwang in der IS-Ölindustrie gearbeitet hatten, über ihre Tätigkeit. Die Befragten sagten aus, dass „das extrahierte Öl an eine Ölraffinerie geliefert worden sei, wo es in Benzin, Gas und andere Petroleumprodukte konvertiert wurde. Dann seien Mittelsmänner aus Rakka oder Aleppo gekommen, um das fertige Produkt abzuholen; sie hätten oft die Türkei erwähnt.“
Ein von den Kurden gefangengenommener IS-Rekrut sagte vor der Kamera, es sei „unter anderem deshalb so einfach für ihn gewesen, die türkisch-syrische Grenze zu passieren, weil die Türkei ebenfalls [von der Nachbarschaft zum IS] profitiere.“ Auf die Frage, wie genau die Türkei profitiere, sagte der Mann, dass die Türkei ebenfalls etwas rausbekomme, Öl zum Beispiel.
Ein kurdischer Kämpfer zeigte RT eine Sammlung von Pässen, die er gefallenen IS-Kämpfern abgenommen hatte. Wie die Dokumente zeigen, kamen die IS-Rekruten aus verschiedenen Teilen der Welt, wie Bahrain, Libyen, Kasachstan, Russland, Tunesien und der Türkei. Die meisten dieser Kämpfer scheinen Syrien über die Türkei betreten zu haben, da ihre Pässe Einreisestempel der Türkei enthalten.

Eine weitere Sammlung von Dokumenten stammt aus dem IS-Checkpoint in Tal Abyad. Neben den Fahrzeugnummern und dem Gewicht des transportierten Materials wurden auch die Namen der Passagiere aufgelistet, die nach Mossul, Rakka, Istanbul oder Ankara reisten. Redur Khalil, ein Mitglied der kurdischen YPG, sagt dazu: „Wir wissen nicht, wer diese Leute sind. Wir haben keine Ahnung, ob es sich um Kämpfer oder Zivilisten handelt. Eins steht jedoch fest: Diese Personen reisten völlig ungehindert in die Türkei.“
In einem ehemals vom IS betriebenen Hospital fand die RT-Crew eine auf arabisch gedruckte Broschüre mit islamistischem Propagandamaterial über die Kriegsführung gegen „das kriminelle Assad-Regime“. Die Broschüre wurde in der Türkei gedruckt, wie aus dem Cover hervorgeht, wo der Name der in Istanbul lokalisierten Druckerei am unteren rechten Rand komplett mit Facebook-Kontakt angegeben ist. [Anmerkung: Der Artikel spricht von „islamistischem“ Propagandamaterial, nicht von IS-Propagandamaterial. Die Broschüre könnte also auch im Auftrag al-Nusras, Ahrar ash-Shams, etc. gedruckt worden sein. Wie uns die westliche Presse lehrt, muss man ja zwischen „guten“ und „bösen“ Jihadisten unterscheiden, also hat das türkische Druckhaus eventuell überhaupt nichts Unrechtes getan. Vielleicht konnten die Angestellten aber auch einfach kein Arabisch.]

Darüber hinaus fanden die Kurden im Tal-Abyad-Checkpoint verschiedene religiöse Dokumente des IS, in denen Enthauptungen und anscheinend auch die Durchführung von medizinischen Eingriffen an Ungläubigen [im Sinne von Organtransplantation] durch Fatwas autorisiert werden. [Der kurdische YPG-Kämpfer wundert sich vor allem über letzteres, da es ein derartiges Fatwa im Islam noch nie gegeben hat.]
Der offizielle Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums Konaschenkow lobte die Recherche der RT-Crew.
Aber die Belege dafür, das auch Assad Öl beim IS kauft, die wurden natürlich nicht gefunden.Ist das nicht einseitig?
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Darüber kann ich nichts sagen. Ich gebe lediglich den Inhalt des Artikels wieder. Entweder, es wurden keine Dokumente darüber gefunden, dass Assad beim IS Öl kauft, oder die Quelle verschweigt diese Information absichtlich. Eine interessante Frage. Das RT-Team hat eine ganze Dokumentation gedreht, d.h. mit Interviews von kurdischen Kämpfern sowie von gefangenen IS-Leuten. Allem Anschein nach hat keiner der Befragten etwas über Ölgeschäfte mit der Regierung gesagt. Ja, die Kurden arbeiten mit der Regierung zusammen, aber sooo pro-Assad sind sie nun auch wieder nicht, dass sie gezielt Dokumente verschwinden lassen würden, die die Regierung belasten. Übrigens erwähnt auch keiner der IS-Männer, die der Journalist Todenhöfer im „Kalifat“ getroffen hat, Geschäfte mit der Regierung. Allerdings erzählen sie IS-Leute freimütig von ihren Geschäften mit anderen Gruppierungen, z.B. dass sie all ihre Munition von der FSA (den Vorzeigerebellen schlechthin) kaufen.
Andererseits ist RT freilich ein russischer Sender, und die Frage ist berechtigt, ob das Filmteam belastendes Material unterschlagen würde. Wer weiß. In den Medien überall auf der Welt ist derzeit so viel Propaganda, dass ich schon froh bin, wenn ich korrekte Informationen erhalte, auch wenn diese eventuell nicht vollständig sind. Das RT-Filmteam war wenigstens so mutig, sich die Sache vor Ort anzusehen. Das ist allemal besser, als irgendwo aus sicherer Entfernung Assad zu verteufeln, wie es so viele westliche Journalisten tun.
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Wenn ich mir eine Anmerkung dazu erlauben darf:
Im Gegensatz zur türkischen Republik wurde der syrische Nachbar hinten und vorne sanktioniert – nicht nur die Einfuhr von Kriegsgütern, was gerne vorgehalten wird, sondern auch die Einfuhr von Dingen, die für das zivile Leben und Infrastruktur benötigt werden. Benzin inklusive.*
Jetzt kann man natürlich anmerken, dass auf syrischem Staatsgebiet ja Öl- und Gasvorkommen vorhanden sind – nur: Was tun, wenn diese durch dem syrischen Staat feindlich gesinnte Gruppierungen gewaltsam entrissen werden? Bei einem derartigen Verlust der eigenen Vorkommen, bzw. Engpässen bei der eigenen Versorgung und gleichzeitiger, weitgehender Unterbindung des Imports aus dem Ausland, während das eigene Land sich in einem Mehrfrontenkrieg auf eigenem Territorium befindet, muss es da nicht wundern, dass man sich wohl oder übel auf einen Handel mit Wegelagerern einlassen muss.
Die Situation ist vergleichbar mit einer Bande, die den einzigen Brunnen weit und breit besetzt und diejenigen, die darauf zwingend angewiesen sind, zur Kasse bittet. ISIL ist nunmal nicht nur die pure Ideologie und braucht, „Jihad“ zum Trotz – oder gerade deswegen – auch Geld, egal woher.
*PS: Besonders perfide daran: Aufgehoben wurden diese Sanktionen vor einiger Zeit zum Teil – jedoch nicht etwa landesweit, sondern nur für die „Oppositionsgebiete“. Inwiefern man damit dem Volk hilft, das müssten diejenigen beantworten, welche zum Instrument der Sanktionen hier gegriffen haben.
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Sehr guter Kommentar, sehe ich persönlich auch so
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„Der syrische Staat“ ist erst mal ein Abstraktum. In der Realität ist er vom Assad-Clan okkupiert. Will sagen, das Öl wurde nicht vom „syrischen Staat“ sondern letztendlich von Assad gekauft. Zumindest zu Beginn der Proteste waren die Gruppierungen auch keine Feinde des Staates sondern des Diktators. Sanktioniert wird auch weniger der syrische Nachbar sondern das Regime. Das hat sich natürlich seit dem Eintritt der Fundamentalisten in den Konflikt verändert. Inzwischen kämpfen dort mehrere illegitime Parteien, die sich wechselseitig instrumentalisieren. Die Hälfte der Bevölkerung ist auf der Flucht vor dem Staat und auch vor dem IS. Das macht die Analyse so schwierig. Nichts ist so wie es auf den ersten Blick erscheint.
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Zu differenzieren zu versuchen zwischen „[okkupierendem] Assad-Clan“ und der Staatsmacht/“Regime“* in dem Lande ist bei der Frage der Sinnhaftigkeit der Sanktionen schon alleine dahingehend irrelevant, da die Folgen für die Gesellschaft dort auch von Leuten, die noch im Land sind und eben nicht dem „Assad-Clan“ angehören, hervorgehoben werden. Vielleicht ist die folgende Dokumentation ja schon bekannt:
http://www.pbs.org/wgbh/frontline/film/inside-assads-syria/
Gegen Ende kommen dort Oppositionelle zu Wort, die in Syrien selbst verblieben sind und klar herausstellen, dass sie, im Gegensatz zur „Opposition im Ausland“, die Folgen der Sanktionen direkt selbst erlebt haben. Die Dokumentation ist dabei alleine schon deshalb etwaiger „Propaganda“ eher unverdächtig, weil der Filmer selbst, ein Martin Smith, mit entsprechenden Vorbehalten an die Sache rangeht.
Zumal sie bei ihrer Formulierung „Hälfte der Bevölkerung ist auf der Flucht vor dem Staat und auch vor dem IS“ zu vergessen scheinen, dass die Binnenflüchtlinge im Land selbst verbleiben, welche die Mehrheit der Vertriebenen insgesamt darstellen. Respektive die ehrlichere Formulierung wäre, dass diese auf der Flucht vor den Kampfhandlungen an sich sind. Da ist es leicht egal, ob nun eine Gruppe dort sich als „Staat“ deklariert, zur Wiederherstellung der Staatsgewalt ausholt oder – soll es auch geben – eine „Revolution“ weiterführen will. Und was letztere Gruppierung unter diesem Wort, arabisch auch „Thaura“ umschrieben, sich so vorstellt, unterscheidet sich in der Breite – die seit Jahren schon besteht, s.a. das DIA-Dokument, welches letztes Jahr veröffentlicht wurde – nicht wirklich von dem, was ein „Islamischer Staat“ so gerne hätte. Was dennoch nicht diverse Nachbarn Syriens daran hindert, diesen letztgenannten Block direkt zu unterstützen. An Stichworten seien da Ahrar ash-Sham und Jaish al-Islam genannt.
Was letzten Endes die Frage angeht, wie (un)rechtmäßig, auch vor jetzt einem halben Jahrzehnt bereits, die Regierung in Damaskus im Vergleich zu anderen Staatsapparaten in der Region ist, will ich eine Beobachtung des verstorbenen Scholl-Latour zu dem Auftritt eines Alain Juppe, dann französischer Außenminister, mit seinem saudichen Amtskollegen im Jahr 2012 zitieren*:
„Der frühere Außenminister Alain Juppé hatte sich nicht entblödet, in einem Fernsehinterview ausgerechnet neben seinem saudischen Kollegen Saud Ben Feisal aufzutreten, um gemeinsam mit diesem Repräsentanten der reaktionärsten, total intoleranten islamischen Theokratie die Syrer zur Einhaltung von Menschenrechten und Demokratie aufzurufen. Gewiß entspräche die Regierung von Damaskus nicht den Vorstellungen westlicher Parteienvielfalt und Meinungsfreiheit, aber da gebe es doch viel schlimmere Despoten, und die religiöse Toleranz sei nirgendwo so sehr geachtet gewesen wie zwischen Damaskus und Aleppo.“
*aus dem posthum erschienen Buch „Der Fluch der Bösen Tat“, S. 105.
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Ja sicher galt Assad Jr. mal als Hoffnung und im Vergleich mit anderen Despoten mag er damals ein echter Lichtblick gewesen sein. Seit 2012 ist aber einiges passiert, was man nicht so einfach Rückgängig machen kann. Je nach dem sind natürlich auch die Flüchtlinge bzw. Unschuldige von dem Embargo getroffen. Aber die meisten fliehen vor „dem Staat“, den Sie nicht mit Embargo belegen wollen. Ich bin dafür betroffenen Menschen zu helfen und wenn das Regime oder die sicher teilweise radikalen „Rebelen“ es zulassen, gehen ja auch Hilfslieferungen nach Alleppo etc.. Was den Artikel betrifft – danke dafür – ist das sicher eine Stimme. Aber es gibt andere, man könnte die Folterbilder anführen. Insofern ist es schwierig sich ein Bild der Lage und der Stimmug Inside Regime zu machen. Jedenfalls ist ein großer Teil der Armee übergelaufen, junge Leute fliehen vorm Militärdienst, die Kurden bauen einen eigenen Staat usw. All das zeugt nicht von wirklicher Legitimität. Eigentlich zeugen direkte Nachfolger in Familiendyastien nie von Legitimität. Mir ist auch klar, dass man nicht einfach ein ganzes Regime schnell auswechseln kann. Aber wenn Assad seinem Volk einen wirklichen und letzten Dienst leisten will, dann wäre es ein geordneter Rückzug.
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