Am 15. Februar 2015 wurden mindestens vier syrische Regierungssoldaten in Darayya, einer Vorstadt von Damaskus, einer Substanz ausgesetzt, bei der es sich nach einem Bericht der OPCW höchstwahrscheinlich um Sarin gehandelt hatte.[i] Der OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen)-Bericht drückte sich wie folgt aus: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass einige derjenigen, die in den mutmaßlichen Vorfall vom 15. Februar 2015 involviert waren [gemeint sind die Soldaten, deren Blutproben vorlagen] zu einem Zeitpunkt Sarin oder einer Sarin-ähnlichen Substanz ausgesetzt gewesen sind. Die FFM [Fact-Finding Mission] konnte die Blutprobenanalysen jedoch nicht eindeutig [„confidently“] mit diesem speziellen Vorfall in Zusammenhang bringen und auch nicht bestimmen wie, wann und unter welchen Umständen die Männer der Substanz ausgesetzt gewesen waren.“[ii] Um sich Klarheit zu verschaffen, erbat sich die Fact-Finding Mission der OPCW von der syrischen Regierung zusätzliche Informationen. Vom 26. bis 31. Januar 2016 reisten die OPCW-Experten nach Damaskus. Die Inspektion bestätigte die oben wiedergegebene Schlussfolgerung der OPCW, konnte aber keine signifikanten neuen Informationen zu Tage fördern. Theoretisch ist also nicht auszuschließen, dass die Soldaten sich absichtlich vergiftet hatten und dann bei ihrer Zeugenaussage logen, bzw. dass sie von anderen, als Rebellen getarnten Soldaten vergiftet worden waren.
[i] „Blutproben von Soldaten legen Giftgasangriff nahe“ (Die Welt, 9. Februar 2017)
Die folgende Quelle enthält eine Stellungnahme der OPCW zu dem Vorfall sowie eine Auflistung aller von den syrischen Behörden bereitgestellten Beweismaterialien:
[ii] „Letter dated 28 March 2016 from the Secretary-General addressed to the President of the Security Council” (UN, 29. März 2016): http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2016/285
Liebe Voljan,
wie immer sehr sachlich und informativ. Wenn ich das richtig verstanden haben, kann es also alles möglich gewesen sein.
Sorry, aber ich finde die aktuelle Giftgasdiskussion derzeit interessanter. Anbei etwas hierzu
https://www.rubikon.news/artikel/giftgasmassaker-war-false-flag-operation
http://blauerbote.com/2017/04/09/untersuchung-des-chan-schaichun-giftgasangriffs-in-syrien/
Tut mir leid, dass das Posten dieser Links auf eine gewisse Unausgewogenheit schließen lässt, aber ich glaube tatsächlich auch, dass Assad selten dämlich sein müsste, wenn er das wirklich veranlasst hätte.
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Nun ja, ich finde den Giftgas-Angriff auf Regierungssoldaten von 2015 deshalb interessant, weil daraus indirekt geschlossen werden kann, dass auch die Opposition Zugang zu Sarin hat. Damit wäre das Hauptargument, dass gegen Assad in der aktuellen Diskussion angeführt wird, nämlich dass nur er in Besitz von Sarin ist, hinfällig.
Im Übrigen sehe ich es ebenfalls so, dass Assad keinerlei Motiv hatte Gas in Khan Sheikhun einzusetzen, ja es wäre sogar „selten dämlich“ wie Sie sich so schön ausdrücken. Einen Vorteil aus der Aktion zieht nicht die syrische Regierung, sondern der Gegner, eventuell indem er darauf hoffte, die syrische Armee würde ihre Offensive in Idlib, dem letzten noch von Rebellen gehaltenen Gouvernement, einstellen, aus Angst, noch mehr unter internationale Kritik zu geraten.
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Ich meine, dass wenn alles möglich war in 2015, von Giftgasangriff bis zur Selbstvergiftung, dies wahrscheinlich nicht von allen als Beweis gesehen wird, dass die „Opposition“ (Euphemismus?) Giftgas hat bzw. hatte.
Jeder, der sich mit dem Giftgasangriff von Gutha aus 2013 beschäftigt hat, weiß, dass die Dschihadisten Giftgas hatten. Dies wurde m.E. doch einigermaßen klar dargelegt. Allein die Posse um Eren Edem, der die Verwicklungen des türkischen Geheimdienstes m.E. aufdeckte, sagt doch einiges aus. Wen es interessiert, einfach recherchieren und auch Seymor Hersh´s Analyse nicht übergehen. Hochinteressant in dem Zusammenhang auch die Aussage des syrischen UN-Gesandten, nach dem der Bericht über die Vorgänge in Gutha im Safe des UN-Generalsekretärs für viele Jahre unzugänglich aufbewahrt wird.
Am 04. April war der Giftgasangriff, ich glaube am 07.04. war eine große Syriengeberkonferenz angesetzt. Die amerikanische Regierung war kurz vorher auf der Linie, Assad im Amt „zu belassen“ und durch Wahlen sein Schicksal enscheiden zu lassen. Für Al-Nusra (ex.) & Co. stand viel auf dem Spiel, zudem die syrische Armee weiteren Landgewinn verzeichnen konnte. Nun hat sich die Situation (wieder einmal) komplett gedreht..
Nicht nur dass der Flughafen bombardiert wurde, die Dschihadisten wurden darüber auch vorhin informiert, so dass diese sofort einen Angriff auf Horms starten konnte, dass ja nun keinen Flughafen mehr hat. Al-Nusra & Co., die vorher stehend k.o. waren, sind nun dank Trump und den „westlichen Werten“ wiederbelebt worden.
Wenn man bedenkt, dass die White Helmets, also Gegner des Regimes, die Videos erstellten, es somit keinen Beweis gibt wer den Angriff vorgenommen hat, ja nicht einmal ob es überhaupt einen Giftgasangriff gab – und es mehr als unlogisch wäre, wenn Assad in dem Moment, in dem er scheinbar die Oberhand gewinnt so eine militärisch sinnlose Giftgas-Aktion macht, mit der er die ganze Welt gegen sich aufbringt, dann wird einem schlecht bei all den Schuldzuweisungen der aufrechten Moralisten in diesem unserem Lande.
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Dass es von Assads Seite sinnlos wäre, Giftgas einzusetzen, ist offensichtlich, da braucht man eigentlich gar nicht drüber zu diskutieren. Wenn das jemand abstreitet, dann tut er das, weil er unbedingt Assad als Schuldigen sehen will, da helfen dann keine Argumente mehr. Meine Bemerkung in diesem Artikel, dass rein theoretisch auch Assad seine Soldaten selbst vergiftet haben könnte, dient nur der Vollständigkeit. Und auch der OPCW-Bericht zieht diese Möglichkeit nicht ernsthaft in Betracht. Wo käme man da auch hin, wenn man bei jedem Verbrechen, dass die Rebellen begehen, argumentiert, dass das ja auch verkleidete Regierungssoldaten hätten sein können? Dieselbe Logik funktioniert nämlich auch andersrum; man könnte sich bei allen Gräueltaten, die von Regierungssoldaten begangen werden, auch fragen, ob es nicht verkleidete Rebellen gewesen sind, die die Uniformen toter Soldaten tragen. Die OPCW trifft am Ort eines mutmaßlichen Giftgaseinsatzes erst Wochen oder Monate später ein und urteilt immer nach Indizen. Hundertprozentige Schuldzuweisungen sind also per se unmöglich. Allerdings fällt mir auf, wie viel leichter es der OPCW fiel, die Regierung aufgrund von teilweise zweifelhaften Indizien des Chlorgaseinsatzes zu bezichtigen, als dass sie die Rebellen 2015 des Saringaseinsatzes verurteilen würde. Wäre der Fall umgekehrt gewesen (d.h. hätten 2015 Soldaten Rebellen mit Sarin angegriffen statt andersrum), hätte die OPCW wohl bei einer solchen Beweislast die syrische Regierung ohne zu zögern verurteilt. Double standard in its best.
Ich habe den Giftgaseinsatz von Ghouta ebenfalls genauestens recherchiert, und ich persönlich bin der Ansicht, dass die syrische Armee nicht verantwortlich dafür ist. Dennoch ist der von mir angeführte Anschlag auf die syrischen Soldaten von enormer Wichtigkeit, da hier ein Bericht der OPCW vorliegt, die ihn bestätigt. Zum ersten Mal überhaupt wird von der „westlichen Wertegemeinschaft“ zumindest die Möglichkeit eingeräumt, dass auch die Rebellen im Besitz von Sarin sein könnten. (Wenn man einmal von der Aussage Carla del Pontes absieht, die in einem Fernsehinterview – Monate vor dem Anschlag in Ghouta – 2013 gesagt hatte, dass die von ihr geleitete UN-Mission eindeutige Hinweise habe, dass die Rebellen Sarin eingesetzt hätten und nicht die Regierung). Ich habe meine Meinung zu dem Thema, aber es ist nicht so wichtig, was ich darüber denke; ich überlege mir als Blogger, welche schlagkräftigen Beweise ich präsentieren kann, die über bloße Indizien und logische Schlüsse hinausgehen. Denn leider ist es der Weltöffentlichkeit eben nicht klar, dass keineswegs feststeht, dass es Assad war, der in Ghouta Giftgas eingesetzt hat.
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