Der Krieg im Jemen ist auf dem Wege, sich ähnlich desaströs für die Zivilbevölkerung zu entwickeln wie der Syrienkonflikt, findet in der Presse jedoch weit weniger Beachtung. Obwohl der Jemenkrieg mittlerweile Züge eines Stellvertreterkrieges zwischen dem sunnitisch-wahhabitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran angenommen hat, sind seine Wurzeln weniger religiös-konfessioneller als separatistischer Natur. Im Norden leben vorwiegend schiitische Zaiditen, während der Süden von Sunniten bevölkert ist. Da die jemenitischen Zaiditen in ihren Bräuchen den sunnitischen Muslimen jedoch recht ähnlich sind, war es bislang nie zu Spannungen zwischen den beiden Konfessionsgruppen gekommen. In Gebieten, in denen Zaiditen und Sunniten zusammenlebten, besuchten sie nicht selten dieselben Moscheen, ja, ein zaiditischer Geistlicher konnte sogar eine sunnitische Moschee führen, und vice versa. Im 10. Jahrhundert war im Nordjemen ein zaiditisches Imamat entstanden, welches abgesehen von einigen Unterbrechungen bis 1962 fortbestand. Auf den Sturz des Herrschers folgte ein achtjähriger Bürgerkrieg, in welchem Nassers Ägypten die Republikaner tatkräftig unterstützte, während Saudi-Arabien und Großbritannien auf Seiten des gestürzten Imams standen. Die Herrscher des Nordjemen wurden von der al-Houthi-Familie gestellt – also jener Familie, der der Gründer der Houthi-Bewegung „Ansar Allah“ – einer der wesentlichen Bürgerkriegsparteien – Hussein al-Houthi angehörte. Die al-Houthi führen ihre Abstammung auf das Geschlecht des Propheten Mohammed zurück, wie auch das jordanische und das marokkanische Königshaus. Auch wenn die Houthi-Bewegung sich in ihrem Protest an die einfache Bevölkerung des Nordjemen richtete, welche sich benachteiligt fühlte und wegen aggressiver saudischer „Missionisierungsversuche“ verärgert war, verleiht der Umstand, dass es sich bei den Anführern um Mitgliedern der ehemaligen Herrscherfamilie handelte, der „Rebellion“ eine zusätzliche Note.
Als sich 1990 der Nordjemen mit dem sozialistischen Südjemen vereinigte, wurde der seit 1978 amtierende Präsident des Nordjemen, Ali Abdullah Salih, ein Zaidite aus dem Nordjemen, Präsident des neuen Staates Jemen. Nach einigen freien Wahlen, in der Salih mit großer Mehrheit wiedergewählt wurde, nahm sein Regime zunehmend autokratische Züge an.
Als 2004 die Houthi-Bewegung „Ansar Allah“ gegründet wurde, kam es in den folgenden Jahren zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Houthi-Mitgliedern und der jemenitischen Armee, in welche 2009 Saudi-Arabien auf Seiten der jemenitischen Regierung in Form von Luftschlägen eingriff.
Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ kam es 2011 auch im Jemen zu Protesten gegen die Regierung, an welchen die Houthis einerseits und die islamistische Oppositionsgruppe „Islah“, die als Vertreter der Muslimbruderschaft im Jemen galt, einen starken Anteil hatten. Bisweilen wird behauptet, auch Saudi-Arabien habe zum Sturz Salihs beigetragen, was jedoch unwahrscheinlich erscheint, da Saudi-Arabien sehr an einem stabilen Jemen gelegen ist und es bislang keine nennenswerten Diskrepanzen zwischen Salihs Regierung und dem saudischen Königshaus gegeben hatte. Nachdem Salih im Februar 2012 seinen Rücktritt bekannt gab, trat sein langjähriger Vizepräsident Abd Rabbihi Mansur Hadi dessen Nachfolge an – als einziger Präsidentschaftskandidat. Auf Stabilität im Jemen bedacht, unterstützte Saudi-Arabien fortan Hadi, verhielt sich Salih gegenüber, welcher weiterhin eine Machtstellung innerhalb seiner Partei ausübte, jedoch nach wie vor wohlwollend.
Bald stellte sich indes heraus, dass Hadi der Herausforderung nicht gewachsen war, woraufhin die Unzufriedenheit in der Bevölkerung stark wuchs. Schließlich setzten die Houthi-Rebellen zu einer erneuten Rebellion an. Große Teile der weiterhin Salih treu ergebenen Streitkräfte schlossen sich den Houthis an, was der Rebellion enorme militärische Schlagkraft verlieh. Nach der Einnahme der Hauptstadt Sanaa durch die Rebellen 2014/2015 erklärte Hadi seinen Rücktritt, welchen er nach seiner Flucht in die Küstenstadt Aden allerdings widerrief, und zwar an dem Tag, an dem seine Amtszeit ohnehin abgelaufen gewesen wäre.
Als die Houthis in Richtung Aden vorrückten, floh Hadi nach Saudi-Arabien. Auf seine Bitte hin griff eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition am 26. März 2015 militärisch im Jemen ein, um die Eroberung Adens durch die Houthis zu verhindern. Aden ist unweit von Bab al-Mandab, einer strategisch äußerst wichtigen Meerenge gelegen, welche den Eingang zum Roten Meer markiert und durch welche ca. 40 Prozent des Schiffsverkehrs durch den Suez-Kanal führt. Da Ölfrachtschiffe Saudi-Arabiens ebenfalls diese Meerenge passieren müssen, wollte Saudi-Arabien verhindern, dass Bab al-Mandab („Tor der Tränen“) unter Kontrolle der Rebellen gerät. Auch Ägypten, welches hohe Einnahmen aus der „Maut“ für den Suez-Kanal bezieht, hatte ein Interesse daran, dass das Gebiet um Bab al-Mandab nicht in Rebellenhände fiel, und beteiligte sich somit nicht nur aus Gefälligkeit gegenüber Saudi-Arabien, welches der Regierung al-Sisi große Finanzhilfen zukommen lässt, an der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition gegen den Jemen. Bezüglich der Motivation Saudi-Arabiens muss noch erwähnt werden, dass kurz zuvor ein Regierungswechsel im saudischen Königshaus stattgefunden hatte. Der neue König Salman und sein Sohn, Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, der mittlerweile zum Kronprinzen aufgestiegen ist, verfolgen generell einen deutlich aggressiveren außenpolitischen Kurs als der vorangegangene Herrscher König Abdallah.
Bei der Rückeroberung Adens setzten Saudi-Arabien und die anderen Koalitionsmitglieder auf verschiedene Gruppierungen am Boden, deren Vormarsch mit Luftschlägen unterstützt wurden. Dass neben südjemenitischen Separatisten auch islamistische Gruppierungen wie al-Qaida am Sturm auf Aden gegen die Houthi-Rebellen teilnahmen, scheint billigend in Kauf genommen worden zu sein. Überhaupt hatten die Luftschläge der Militärkoalition den Nebeneffekt, dass sich in dem in ihrem Zuge eintretenden Chaos die im Jemen ohnehin bereits stark vertretene al-Qaida noch weiter ausdehnen konnte und es auch dem Islamischen Staat gelang, im Jemen Fuß zu fassen. Was die südjemenitischen Separatisten angeht, so werden diese in der Presse oftmals als Anhänger Präsident Hadis charakterisiert, zumal dieser selbst aus dem Süden Jemens stammt. Allerdings handelt es sich bei dieser losen Allianz mehr um eine Zweckgemeinschaft, da Hadi im Gegensatz zu den Separatisten an der Einheit des Jemens interessiert ist. Wirkliche Unterstützer Hadis im Jemen selbst existieren in dieser Form nicht, zumindest nicht organisiert und in großer Zahl.
Wo der Jemen bereits vor dem militärischen Eingreifen der Koalition als ärmstes arabisches Land des Mittleren Ostens galt – mit einer erschreckenden Analphabetenquote von fast fünfzig Prozent und ca. dreißig Prozent der Bevölkerung, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten – ist die Sozialversorgung durch den Bürgerkrieg mittlerweile vollkommen zusammengebrochen, so dass 2016 sogar eine Cholera-Epidemie ausbrach.
Wie immer ein guter Artikel.
Ein paar ergänzende Sachen: Es ist keineswegs so, dass Saudi Arabien den Krieg mal eben so aus der Portokasse finanzieren kann. Die Währungsreserven schmelzen in einem recht hohen Tempo dahin:

Michael Lüders erläutert auch noch ein paar der Hintergründe und Umstände:
Laut seinen Aussagen kann Saudi Arabien den Krieg überhaupt nur durch stetige fachliche Unterstützung der USA führen und er ist zudem der Meinung, dass er tatsächlich nicht zu gewinnen ist (gebirgiges Umfeld ähnlich Afghanistan). Ich kann das nicht beurteilen und die Zeit wird zeigen, ob er mit seiner Einschätzung richtig liegt.
Wenn dem aber so ist und Saudi Arabien nicht irgend wann die Reissleine zieht, dann könnte das am Ende sogar kritisch für das Saudische Königshaus werden. Der innere Frieden wird wohl zu einem Großteil durch finanzielle Zuwendungen erkauft.
Ganz interressant ist dazu ein Intervwie von Chaos Radio Express mit Miriam Seyffarth, die dort mehrere Jahre gelebt hat. Ihre Art ist etwas anstrengend, aber imo ist es sehr wohltuend, dass hier mal jemand von innen berichtet und nicht stetig das große s/w Bild von Freund und Feind zeichnet:
https://cre.fm/cre212-saudi-arabien
Und leider spielt hier auch mal wieder das Thema Uranmunition mit rein. Es gibt wohl Hinweise, dass die Saudis solche Munition einsetzen:
https://www.heise.de/tp/features/Setzt-Saudi-Arabien-im-Jemen-Uran-Munition-ein-3745088.html
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Danke für deine Anmerkungen. Ich wollte in meinem Artikel nicht zu tief in Details gehen, um den roten Faden nicht zu verlieren, da es sich um einen ziemlich komplexen Krieg handelt.
Für Saudi-Arabien entwickelt sich dieser Krieg langsam aber sicher zu einem Desaster, da er sehr kostenaufwändig ist, wenig Resultate bringt und die saudische Staatskasse aufgrund des niedrigen Ölpreises (den die Saudis freilich selbst untengehalten haben, um die Fracking-Industrie der USA unrentabel zu machen) arg strapaziert ist. Saudi-Arabien kann aber nicht so einfach die Reißleine ziehen, weil sich der Krieg zum einen zu einem Kräftemessen mit dem Iran entwickelt hat und zum anderen eine Prestigefrage für Mohammed bin Salman ist, der nicht der Typ Mensch zu sein scheint, der leicht einlenkt.
Da die USA ihre Uranmunition auch weiterverkaufen, ist es gut vorstellbar, dass die Saudis sie im Jemen einsetzen, auch wenn es bislang meines Wissens lediglich Indizien dafür gibt.
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